Ghost Copy
Allegorical images flash up between black frames: Over this, a sound montage of scraps of conversation and noise. Following the compositional principle of Günter Brus´s “Vienna walk” documented on 8mm film, Ghost Copy synthesizes amateur analogue film material with digital sound fragments. In this way, a space is created in which the zeit-geist (ghost of time) and images of humanity make ghostly appearances. (Michelle Koch, Diagonale 2016)
A flock of birds; an airplane; a soldier turns his head; a child sprints towards the camera. These four settings, and the many that follow in the next two-and-a-half minutes, each last a split second, a handful frames - just long enough for moving forms to become perceptible as shapes, gestures, artefacts. In-between is darkness.
The form of Ghost Copy is owed to a double work with the archive: The moving images are taken from Austrian amateur films from 1935 to 1965. The staccato of clips and black frames is sythesised with the compositional principle of the 8 mm film documenting Günter Brus´ 1965 action "Vienna Walk". In the Vienna city centre Brus exhibited a life permeated by violent border regimes on his own white-painted body, split in half as if with barbed wire. The found footage of Christiana Perschon does not intend to supplement this action with an over-explained background of the authoritative character in the time between the Austrofascist state and the economic miracle in Austria, rather it shows sparks of an infamous, macrohistorical, "insignificant" life. It reveals too little to be categorized as historical narrative and too much to be dismissed as abstract or anecdotal. Costume or uniform, camaraderie or mob, bared wire or tightrope dance?
Perceiving means making precarious distinctions; all the more so as the filmic cut primarily balances movement intensities instead of making rhetorically clear rhymes. As a ghost of a film copy, history does not become clear, it wanders around. And it doesn´t go away either: Smartphone recordings from the current exodus of a current war generation – the blast of wind in the face, crackling earth under the foot, catching breath – permeate the audio track. (Joachim Schätz)
Ghost Copy is created by an archaeological search for historical images showing a society which is reanimated in the course of the montage and makes an ephemeral appearance. It refers to Günter Brus´ action Wiener Spaziergang (1965), filmed with a 8mm camera. This documentary from the Viennese Actionism serves as a template for an exploration of the afterlife and the syntax of ephemeral films. The work is absent. What remains is a formal structure, which recurs as a montage in single frames and fragmented sounds. The duration of each camera shot and its montage pattern create a film syntax which forms virtually invisible the basis of Ghost Copy. Image references and sound references are mounted together in the rhythm of the Wiener Spaziergang: Home movies shot between 1930-1965 by austrian war and postwar generations flash as frozen single frames only apparitional while the soundtrack of cell phones from social networks continues to be heard and remains visible as a cartography of current boundary marks. A dream-like sequence, which transports a zeitgeist: a look in undefined spaces. The historic amateur films become a symbol for a self-documenting and commenting society. These amateur shots are combined associatively and leave a dreamlike sequence, rather a nightmare which is referentially related to the criticism of the Wiener Spaziergang on the constitution of bourgeois society. A glimpse of a zeitgeist giving an insight into the represented (and imagined) socio-political conditions of a certain period of time. In resorting to soundtracks of cell phone shots - the current amateur film format – a sound image evolves highly fragmented by the structure of the montage pattern. It is found footage of today´s war generation and a cartography of escape routes. These fragmented travel-logs are shared through digital social networks like Whatsapp and Facebook and document the stages of the route into and through Europe. These edited sounds - documents and comments from current demarcations and exclusion conditions - set the criticisms of Viennese Actionism in the context of the socio-political presence. (production note)
Joachim Schätz, Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (Critique)
Die Form von Ghost Copy verdankt sich einer doppelten Arbeit mit dem Archiv: Die Bewegtbilder sind österreichischen Amateurfilmen aus den Jahren 1935 bis 1965 entnommen. Das Stakkato aus Aufnahmen und Schwarzkader, in das sie angeordnet sind, ist dem Schnittmuster des 8mm-Films nachgearbeitet, der 1965 Günter Brus´ Aktion "Wiener Spaziergang" dokumentierte. Das Leben als von gewaltförmigen Grenzregimen durchdrungenes stellte Brus in der Wiener Innenstadt am eigenen weißbemalten, in der Mitte stacheldrahtartig zweigeteilten Körper aus. Christiana Perschon reicht dieser Aktion mit ihrer Found Footage-Montage nun keine auserklärte Vorgeschichte zum autoritären Charakter zwischen Ständestaat- und Wirtschaftswunder-Österreich nach, sondern lässt Spuren infamen, makrohistorisch "unerheblichen" Lebens aufblitzen. Die geben zuwenig zu sehen, um sich als Geschichtserzählung ordnen zu lassen, und zuviel, um sie als abstrakt oder anekdotisch abzutun. Kostüm oder Uniform, Geselligkeit oder Mobszene, Stacheldraht oder Seiltanz? Wahrnehmen heißt prekäre Unterscheidungen treffen, zumal der Schnitt vor allem Bewegungsintensitäten balanciert, statt rhetorisch eindeutige Reime zu setzen. Als Gespenst einer Filmkopie leuchtet Geschichte nicht ein, sondern geht um. Geht auch nicht weg: Smartphone-Aufzeichnungen einer aktuellen Kriegsgeneration auf der Flucht – Fahrtwind-Rauschen, Boden-Knirschen, Atemholen – durchdringen die Tonspur.
Joachim Schätz, Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft
Rainer Kienböck, Jugend ohne Film (Critique)
Rainer Kienböck, Jugend ohne Film
Artwork of the Month / Elisabeth Falkensteiner, PW-Magazine (Critique)
Die Montage des bildlichen und auditiven Archivmaterials, analoge Amateurfilme aus Filmarchiven und digitale Video-Uploads von Facebook, obwohl investigativ, setzt kein geschichtliches Narrativ fest, sondern konfrontiert uns mit Schicksalen, ausgelöst von politischen Herrschaftsverhältnissen damals wie heute. Die fragmentarischen Spuren der intimen Aufnahmen aus der Vergangenheit sind nach dem Schnitt-Rhythmus der Dokumentation von Günter Brus´ Aktion "Wiener Spaziergang" (1965) arrangiert und erhalten ihre Dramatik durch den aus Smartphone-Videos entnommenen Sound, welche auf der Flucht von Syrien nach Europa im Sommer 2015 entstanden sind. In Analogie zum zweigeteilten Körper in Brus´ Aktion – in Ghost Copy abwesend – steht das bedrohliche Unterfangen vom Überwinden politisch gedachten Grenzen.
Elisabeth Falkensteiner, PW-Magazine / Artwork of the Month
Produktionsnotiz
Die ausgewählten Bilder - weitgehend unbekannte und bisher nur eingeschränkt benutzbare Amateurfilme im 8mm, Super-8, 9.5mm und 16mm Filmformat - entstammen dem "Archiv ephemerer Filme" des Österreichischen Filmmuseums, des Wiener Stadt- und Landesarchivs/Filmarchiv der mediawien und dem United States Holocaust Memorial Museum. Sie dienen nicht der Illustration eines Zeitgeschehens oder einer Biografie, sondern formen eine Art Traumsequenz. Die filmische Übersetzung in eine Fiktion, die das vorgefundene Material zu Traumbildern formt und damit den Status von visuellen Dokumenten befragt, folgt in der Montage einer formal-strukturierten Matrix.
Die Traumsequenz bildet sich durch das Zusammenstellen und In-Beziehung-Setzen des Archivmaterials - Familienfilme von Kriegs- und Nachkriegsgenerationen in Wien – mit den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen des Wiener Aktionismus der 1960er Jahre und ihrer Kritik an der Spaltung des Menschen durch die Gesellschaft. Als Schnittmuster dient Günter Brus´ Aktion "Wiener Spaziergang" gefilmt in der Wiener Innenstadt 1965 mit einer 8mm Schmalfilmkamera: Der Körper des Künstlers und seine Kleidung sind weiß bemalt. Mit einem schwarzen stacheldrahtartig gezogenen Strich entlang seines weiß bemalten Körpers markiert er eine Grenze und verweist damit auf seine eigene Gespaltenheit und sein Verhältnis zu einem vorherrschenden Gesellschaftsbild. Der Künstler zeigt mit dieser für die damalige Zeit radikalen, existenziellen Körperkunst seine verzweifelte und ohnmächtige Haltung gegenüber einem starren, von konservativen Normen geprägten, gesellschaftlichen System. Als zentrale Metapher in Brus´ Selbstbemalung und späteren Selbstverletzungsaktionen - Materialaktionen, die u.a. an die Materialschlachten des zweiten Weltkrieges erinnern und als Reaktion gegen Faschismus, Ideologie der Opferrolle, Staat und Kirche gemeint waren - greift Ghost Copy das Element der Grenzziehung auf.
Die Spur zum 8mm Originalwerk Wiener Spaziergang entzieht sich dem Blick, das Werk ist abwesend. Was bleibt, ist eine formale Struktur, die als Schnittmuster in Einzelbildern und Tonfragmenten wiederkehrt. Günter Brus´ auf 8mm-Film dokumentierte Aktion Wiener Spaziergang mit einer Länge von einer Minute und fünfzig Sekunden dient als Schnittvorlage. Die Dauer der Kameraeinstellungen und die Schnittfolge ergeben eine Film-Syntax, die GHOST COPY nahezu unsichtbar zu Grunde liegt. Ausgehend von diesem Kompositionsprinzip werden Amateurfilme aus den Jahren 1935-1965 und Tonspuren von Handyaufnahmen, gefunden in sozialen Netzwerken, im Rhythmus des Wiener Spaziergangs montiert. Die Familienfilme von österreichischen Kriegs-und Nachkriegsgenerationen - Symbol einer sich selbst dokumentierenden und kommentierenden Gesellschaft - blitzen als Einzelbilder eingefroren nur mehr schemenhaft auf, während die Tonspur weiter läuft um hör- und sichtbar zu bleiben als eine Kartographie aktueller Grenzziehungen. Die im Schnittmuster des Wiener Spaziergangs montierten Sounds – Dokumente und Kommentare von Ausgrenzungsverhältnissen einer heutigen Kriegsgeneration – setzen die Kritik des Wiener Aktionismus an der Verfasstheit der Gesellschaft in den Kontext der gesellschaftspolitischen Gegenwart. In der Konfrontation des Gewesenen mit dem Gegenwärtigen entsteht eine traumartige Sequenz, die ein Zeitkolorit transportiert: ein Blick in nicht erklärte Räume.
Produktionsnotiz
Ghost Copy
2016
Austria
2 min