how we live - messages to the family
"Imagine we are sitting at home, the screen is set up, the projector ready, and we start watching home movies together," suggests the calm voice of the filmmaker Gustav Deutsch at the beginning of how we live. The film assumes this same calm as it undertakes its journey via amateur film recordings gathered from archives in Austria, Italy, Holland and England, "traveling" from Boston to Italy, from the USA to Austria´s Burgenland, from Maryland to Greece, between Vienna, Sydney and Switzerland. The film employs a broad media-archeological array in a form of letter writing: from first color home movies to video and digital cell phone images and skype. The family recordings that structure the film are like moving postcards, telling of various lives and lifepaths from the 20th century. But they also speak to the medium of film as a tool of everyday life, to a function of bridging distances that came to make the "family of man" possible as a community, its biographies increasingly marked by migratory patterns.
In Film is. (1-6), Deutsch proceeded with extreme poetic precision to tell an alternative history of cinema in the style of a picture atlas constituted by scientific films. The endeavor of how we live is comparable, however it utilizes the most private ephemera of film practice. This film feels entirely different because of its contemplative air which aptly corresponds to its subject matter. You can lean back and enjoy this journey completely relaxed, trusting the storyteller, just watching the life of the other unfolding before your eyes in real time while catching correspondences and analyses hidden in every moment that touch on depths not superficially treated but highlighted between the images – in their relation to one another. The material that Deutsch has gathered is recurringly interwoven by the trip of Moroccan Mostafa Tabbou from his new home in Holland to Morocco, a journey undertaken by Gustav Deutsch with his wife Hanna Schimek and which itself becomes a home movie. And so the film produces a community not only between various people from various places, but also establishes a timeless togetherness, allowing generations of filmmakers to speak to one another and via the medium of the movie screen, to us. (Alejandro Bachmann)
Translation: Eve Heller
Diagonale 2018: so leben wir – botschaften an die familie von Gustav Deutsch, von Patrick Holzapfel, Jugend ohne Film, 18.03.2018 (Critique)
Das sind also wir, so leben also wir. Wir, das sind Menschen, die ihren Alltag dokumentieren. Das macht soweit Sinn und dahinter spürt man ein Ideal, das es dringlich zu unterstützen gilt. Nämlich die Tatsache, dass Familienfilme, Reisefilme und dergleichen essentielle Zeitdokumente sind (egal in welchem Format), die es dringend zu bewahren gilt. Und auch zu zeigen, zu erforschen, zu diskutieren. Deutsch ist ein großer Streiter in dieser Sache. „Wir“, das hat aber auch etwas Familiäres und Deutsch versucht sich erstmalig auch als Sprecher aus dem Off im Modus einer begleitenden Erzählstimme, die gleich einer häufigen Vorführpraxis des Amateurfilms ein Beisammensein vor der Leinwand im Wohnzimmer simuliert. Es mutet etwas komisch an, dieses Ausprobieren eines Home-Movies von einem Profi, diese Verbrüderung mit einem Bildproduktionsmodus, der dennoch kaum betont, dass die Grenzen zwischen „Amateur“ und „Profi“ womöglich sowieso fließend sind.
Stattdessen lullt einen Deutsch mit meist guten Beobachtungen in ein Sehen ein, das eine Gemeinsamkeit erzeugen soll. Ein Sehen, dass auch ihn als Amateurfilmer etablieren soll. „Stellen Sie sich vor, wir sitzen zuhause, die Leinwand ist aufgestellt, der Projektor aufgebaut und wir schauen gemeinsam Familienfilme“, heißt es im Film. Dass dabei kaum Rücksicht genommen wird auf entscheidende Bestandteile des Amateurfilms wie den Leerlauf zwischen den Höhepunkten und den individuellen Filmausschnitten, kann man mit etwas Wir-Gefühl noch verstehen. Dass Deutsch aber mit Sounddesign und Musik das Ursprungsmaterial beständig in einen größeren Zusammenhang zu pressen trachtet und schlicht und ergreifend für seine Zwecke manipuliert, stößt doch auf. Und zwar nicht, weil das prinzipiell nicht in Ordnung wäre, sondern weil es seiner eigentlichen Betonung von Material, Geschichte und Inszenierungsweisen des Amateurfilms widerspricht.
Auf der einen Seite sollen „wir“ gemeinsam Familienfilme schauen, auf der anderen Seite sind „wir“ Menschen, denen man eine größere Geschichte und gewisse emotionale Effekte aufzwingen muss. Aus ähnlichen Gründen versandet auch die selbstgedrehte Episode von Deutsch und seinen Freunden. An sich eine spannende Idee: Man gibt die Kamera, die Professionalität mit ihr ab. Man könnte an David Perlovs Yoman denken und viele andere Tagebuchfilme, die mit dieser Diskrepanz zwischem geschulten Auge und privaten Bildern deutlich vielschichtiger umgingen oder aber auch an Rabo de Peixe Joaquim Pinto und Nuno Leonel, die ihre Kamera in einer Szene Kindern in die Hand geben und diesen Sprung deutlich mehr reflektieren. Bei Deutsch steht dagegen eine Art fiktiver Repräsentation ein: So sieht mein Home-Movie aus.
„Wir“ sind eben nicht Beobachtende des Alltags, die Bilder unseres Lebens mit Filmmusik untermalen oder wissen, wie wir mit passenden Tönen eine bestimmte atmosphärische Tiefe erreichen. Im Kern geht es Deutsch in so leben wir nicht wirklich um die Geschichte des Amateurfilms. Zu wenig geht er auf Zusammenhänge ein, zu wenig geht er tiefer in eine einzelne Geschichte. Wer sich mehr dafür interessiert, ist bei Deutschs Adria – Urlaubsfilme 1954-68 (Die Schule des Sehens I) oder aber mit einem Besuch in entsprechenden Archiven besser aufgehoben. Alles in so leben wir besteht immerzu in einer Relation zum größeren dramaturgischen Zusammenhang. Das Gefühl des Entdeckens, des freien Sehens und wirklichen Interesse für das, was man in den Bildern über die Menschen und Orte erfahren kann, wird merklich zurückgeschraubt, hin zu dem, was all diese Menschen verbindet. Eine größere dramaturgische Idee verhindert immerzu, dass uns Deutsch wirklich teilhaben lässt, an dem was er zweifelsohne im Film gesehen haben muss. Natürlich entstehen auch durch die Verbindungen bestimmte Wahrnehmungen, die relevant sind. Etwa Fragen nach dem, was eigentlich interessant ist für Amateurfilmer oder wie sich bestimmte Menschen und Familien gerne selbst sehen. Das geht zum Teil auf, in anderen Teilen, etwa im etwas hilflosen Ansatz zu Home-Movies heute via sozialer Medien und so weiter (es gibt im Film weder ein typisches Beispiel für Home-Movies heute noch ein außergewöhnliches, nur dort realisierbares), kann man nicht verstehen, warum Deutsch einen derart umfassenden, geschichtsorientierten Ansatz gewählt hat.
Und was diese Amateurfilmer verbindet, ist tatsächlich in einem großen Teil der ausgewählten Filme ein gewisser Wohlstand. Das liegt gewiss an der Selbstpräsentation der Familien, die man im Film kennenlernt. Aber eben auch an den Häusern, Orten und Autos, die man dort sieht. So leben wir reich. So leben wir nicht. So leben wir vielleicht. So lebten wir. Dieses „Wir“ ist auch ein gern genommenes Stilmittel vor allem im cinephilen Schreiben über das Kino. Das „Wir“ behauptet eine Gruppe, eine gemeinsame Seherfahrung und Haltung zum Kino. Es schließt eigentlich immer mehr ein, als es ausschließt, obwohl man sich leicht davon ausgeschlossen fühlen könnte, zum Beispiel bei Serge Daney. Es nimmt einen aber in der Regel mit. Das klappt auch deshalb bei Daney, weil es um die Erfahrung des Kinos geht, die tatsächlich bestimmten Regeln folgt. Man sieht, man hört, man sitzt, Licht, Zeit, Traum und Maschine. Bei Migrationsgeschichten von 1929 bis heute ist dieses Wort jedoch gefährlicher, selbst wenn es noch so gut gemeint ist und sich sicherlich nicht (nur) auf diesem Zusammenhang bezieht. „Wir“, mag man vielleicht sagen, fahren keinen Rolls Royce. Deutsch äußerte im Publikumsgespräch, dass es ihm darum gegangen wäre „positive Migrationsgeschichten“ zu erzählen. Was unklar blieb: Was ist das und gibt es auch Dokumente von gescheiterten Geschichten?
Kein schönes Land in dieser Zeit, von Barbara Wurm, Filmdienst (Article)
Migration ist die Normalität. Dieser Satz beschließt Gustav Deutschs „so leben wir – botschaften an die familie“. Gesprochen wird er vom Found-Footage-Meister selbst, er kommentiert den gesamten Film, eine Collage von „Home Movies“ aus der ganzen Welt, aus dem Off. In recht saloppem Ton, Wiener Dialekt inklusive. Das ist nicht nur wohltuend bescheiden wie erfrischend verfremdend – und erzeugt damit eine Intimität, die für Nähe ohne Besserwisserei steht –, es ist, wie alles, was Deutsch tut, auch im filmischen Ausgangsmaterial begründet: Meist waren die Amateurfilme stumm und wurden aus dem Off kommentiert oder nachvertont. In diesem Fall hat es dazu geführt, dass Deutsch die private Welt der Filmmenschen bereiste und eintauchte in das imaginäre Archiv ihrer jeweiligen Familienstorys.
Das Ergebnis ist ein bunter, viel freie Luft atmender visueller „Fleckerlteppich“ aus Migrationsgeschichten, die sich zum Bild einer immer schon globalen Welt formieren. Denn auch den Gattungsbegriff nimmt Gustav Deutsch ernst: Home Movies sind für ihn „filmische Botschaften aus der Ferne, adressiert an die Verwandten im früheren Zuhause“. Im Kleinen dieser Welten liegt das Große, liegt ihr Weitblick: von der burgenländischen Community in Chicago über den Italiener aus Rimini in Boston bis hin zu seinem Freund, dem marokkanischen Berber Mostafa Tabbou, mit dem Deutsch und Partnerin Hanna Schimek aus der holländischen Heimat via Frankreich, wo die Brüder leben, in die alte marokkanische fahren.
Wer im von Monika Willi vollendeten Lebensabschiedsfilm Michael Glawoggers „Untitled“ eine unfassbare Hymne, eine Symphonie oder gar einen nostalgisch trommelnden ReggaeRap auf den Freiheitswillen einer vom Leid erfassten „Family of Man“ sieht (und dabei vor Freude, Trauer und Lebensgefühl schlicht heult), kann Gustav Deutschs „so leben wir“ nur als großen Komplementär-(Ent)Wurf dazu sehen. Einen von nicht minderer Größe und Tragweite. Ein Statement auch eines Österreichers gegen den kleinbürgerlichen Schließmuskel seiner wohlernährten Landsleute.
(Barbara Wurm, Filmdienst)
Amateurkino zwischen Heim– und Fernweh, von Andrey Arnold, Die Presse, 05.04.2018 (Article)
Dabei ahmt er die Stimmung von Heimkinovorführungen nach. „Stellen Sie sich vor, wir sitzen zu Hause, die Leinwand ist aufgestellt, der Projektor aufgebaut, und wir schauen gemeinsam Familienfilme“, heißt es zu Beginn. Es folgen bewegte Ansichtskarten aus unterschiedlichen Perioden des 20. Jahrhunderts, mit denen Menschen (meist Europäer) zeigen wollen, dass sie es im gelobten Land (meist Amerika) zu etwas (meist Wohlstand, Haus, Familie) gebracht haben. Wie Deutsch im betont zwanglosen, wienerisch gefärbten, etwas behäbigen Off-Kommentar anmerkt, kristallisieren sich dabei Sehnsüchte, Ängste und Wertvorstellungen heraus: der Amateurfilm als kulturhistorische Schatzkiste. Manchmal gleitet Ambient-Musik von Christian Fennesz über die Bilder, um ihr Traumleben hervorzuheben.
Chicago, Burgenland
Aus diesem Mosaik der Erinnerungen wächst der Eindruck einer zwischen Fern- und Heimweh schwankenden Epoche („Migration ist der Normalfall“, heißt es gegen Ende). Im Chicago der Fünfzigerjahre versammeln sich Burgenländer, um Filme aus Österreich zu sehen. Dabei werden sie vom Vorführer selbst gefilmt – vielleicht, um ihren Anblick später nach Burgenland zu tragen. Dass das heute ähnlich funktioniert, verdeutlicht das Smartphone-Heimreisetagebuch eines marokkanischen Freundes des Regisseurs. Dieser drehte schon für Deutschs „Augenzeugen der Fremde“, gleichfalls eine Gegenüberstellung auswärtiger Blickpunkte. Zu sehen sind beide Filme im Wiener Metro-Kino, wo „So leben wir“ am Donnerstag startet, ergänzt von einer Deutsch-Retrospektive.
so leben wir - botschaften an die familie
2017
Austria
107 min