Those Who Go Those Who Stay
Rain on a window pane, a fire truck, a tomcat with innumerable offsprings: it is an intentionally unintentional gaze that allows for chance encounters, for stories and memories — leads that Ruth Beckermann follows across Europe and the Mediterranean. Nigerian asylum seekers in Sicily, an Arab musician in Galilee, nationalists drunk on beer in Vienna, the Capitoline Wolf, and three veiled young women trying for minutes to cross a busy road in Alexandria. Threads, cloth and textiles pop up like book marks in a fabric of movement, of travelling or seeking refuge.
THOSE WHO GO THOSE WHO STAY is a story of being on the move, in the world and one´s own life. (prod. note)
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Those Who Go Those Who Stay, Der Standard (Article)
Eine Idee für einen Dokumentarfilm, welche die Freiheit dieser Gattung schön zum Ausdruck bringt: Man stelle sich auf eine Straße, lasse neun Menschen passieren, und über den zehnten drehe man einen Film. Der Filmemacher Georg Stefan Troller erzählt in Ruth Beckermanns Film gleich zu Beginn von dieser dadaistischen Idee. Umgesetzt hat er sie nie, aber immer reizvoll gefunden. Ruth Beckermann hält sich in Those Who Go Those Who Stay auch nicht an dieses Zufallsprinzip, doch sie befreit sich mit dieser ungewöhnlich offenen Arbeit von vielen Konventionen, denen auch dokumentarische Formen oft Genüge tun. Ohne lineare Bewegung auf ein einzelnes Thema zu sucht sie nach vielfältigen Spuren von Menschen, die ins Exil gegangen oder in ihrer Heimat geblieben sind. Und selbst diese Beschreibung trifft es nur unzureichend: Oft sieht sich Beckermann nur an Orten um, in denen sich (Flucht-)Geschichten ganz beiläufig manifestieren.
Für dieses Unterfangen schöpft die Filmemacherin auch aus dem eigenen Archiv und greift zu Aufnahmen, die am Rande von früheren Werken oder auch autonom davon entstanden sind. Als Einzelstück sind sie oft in einem anregenden Sinne erratisch. Einmal fahren die Filmemacherin und der Kameramann Peter Roehsler zum Beispiel im Auto durch die Umgebung von Jerusalem und unterhalten sich darüber, was Satan mit der Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes anfangen würde - begänne er seine Ausführungen im Jahr 1967 oder doch schon 1948?
In Wirklichkeit ist weniger der Anfang entscheidend als das Ausbleiben eines Endes. Den Verwerfungen der Geschichte kommt man in Those Who Go Those Who Stay in kleinen biografischen Auszügen auf die Spur. Beispielsweise in einer kürzeren Passage mit Mathias Zwilling, dem jüdischen Lehrer aus Czernowitz, den man auch aus einem Film von Volker Koepp kennt, der erst nach dieser Aufnahme entstanden ist.
Beckermann spinnt lose Fäden - das Motto des Films nimmt auf Ariadnes Geschenk an Theseus Bezug -, welche sie bis zu gegenwärtigen Verhältnissen weiterzieht, etwa zu den jungen fußballbegeisterten Nigerianern, denen sie in Italien begegnet.
Sucht man nach einem strukturellen Motiv, so findet man es zuallererst in dem des Reisens. Beckermann, die, oft allein unterwegs (und insofern als Subjekt im Film auch präsent), neugierig auf eine unvertraute Umgebung blickt. Mit überraschenden Exkursen muss man rechnen - wie auf einer Messe, wo es um eine kugelförmige Kamera geht, mit der man Räume ausspioniert ("Kann man die aus Flugzeugen werfen?"). Zufallsbegegnungen gehören zum Prinzip, eine der komischsten ist jene mit dem Architekten Rudy Ricciotti, der sich vor der Kamera ins Zeug wirft und von Beckermann hübsch ausgebremst wird.
Dass diese Migrations- und Reiseverflechtungen den kulturellen Reichtum einzelner Länder fraglos vergrößert haben, dafür findet Beckermann schöne Belege: Ihre Aufnahmen wecken Lust auf unbekannte Orte und ungewöhnliche Begegnungen. Umso abstoßender wirkt die Mir-san-mir-Seligkeit einer FPÖ-Veranstaltung: ein (fast zu) starkes Gegenbild in diesem Film, der die Grenzen offenlässt. (Dominik Kamalzadeh, Der Standard)
Für dieses Unterfangen schöpft die Filmemacherin auch aus dem eigenen Archiv und greift zu Aufnahmen, die am Rande von früheren Werken oder auch autonom davon entstanden sind. Als Einzelstück sind sie oft in einem anregenden Sinne erratisch. Einmal fahren die Filmemacherin und der Kameramann Peter Roehsler zum Beispiel im Auto durch die Umgebung von Jerusalem und unterhalten sich darüber, was Satan mit der Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes anfangen würde - begänne er seine Ausführungen im Jahr 1967 oder doch schon 1948?
In Wirklichkeit ist weniger der Anfang entscheidend als das Ausbleiben eines Endes. Den Verwerfungen der Geschichte kommt man in Those Who Go Those Who Stay in kleinen biografischen Auszügen auf die Spur. Beispielsweise in einer kürzeren Passage mit Mathias Zwilling, dem jüdischen Lehrer aus Czernowitz, den man auch aus einem Film von Volker Koepp kennt, der erst nach dieser Aufnahme entstanden ist.
Beckermann spinnt lose Fäden - das Motto des Films nimmt auf Ariadnes Geschenk an Theseus Bezug -, welche sie bis zu gegenwärtigen Verhältnissen weiterzieht, etwa zu den jungen fußballbegeisterten Nigerianern, denen sie in Italien begegnet.
Sucht man nach einem strukturellen Motiv, so findet man es zuallererst in dem des Reisens. Beckermann, die, oft allein unterwegs (und insofern als Subjekt im Film auch präsent), neugierig auf eine unvertraute Umgebung blickt. Mit überraschenden Exkursen muss man rechnen - wie auf einer Messe, wo es um eine kugelförmige Kamera geht, mit der man Räume ausspioniert ("Kann man die aus Flugzeugen werfen?"). Zufallsbegegnungen gehören zum Prinzip, eine der komischsten ist jene mit dem Architekten Rudy Ricciotti, der sich vor der Kamera ins Zeug wirft und von Beckermann hübsch ausgebremst wird.
Dass diese Migrations- und Reiseverflechtungen den kulturellen Reichtum einzelner Länder fraglos vergrößert haben, dafür findet Beckermann schöne Belege: Ihre Aufnahmen wecken Lust auf unbekannte Orte und ungewöhnliche Begegnungen. Umso abstoßender wirkt die Mir-san-mir-Seligkeit einer FPÖ-Veranstaltung: ein (fast zu) starkes Gegenbild in diesem Film, der die Grenzen offenlässt. (Dominik Kamalzadeh, Der Standard)
Dossier Beckermann: Rote Fäden (Those who go those who stay), von Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 02.10.2017 (Article)
Wo soll man bloß anfangen?
Mit Those who go those who stay zieht Ruth Beckermann nach über dreißig Jahren des Filmemachens in vielerlei Hinsicht Zwischenbilanz. Ein solches Resümee, so könnte man meinen, fasst lose Enden zusammen, ergänzt bisher Nicht-Erzähltes oder Nicht-Gezeigtes, gibt Auskunft über Motivationen für das Filmemachen, schließt ein Kapitel, einen Lebensabschnitt ab. Those who go those who stay ist da anders: das Unabgeschlossene Beckermanns früherer Filme findet hier keinen Abschluss, sondern eine Fortsetzung, kein Gedanken daran verschwendet die mannigfaltigen Themen und Motive ihrer vorherigen Arbeiten in einem letzten Kraftakt zu einem Gesamtkunstwerk abzurunden. Nein, diese Zwischenbilanz ist widerständig. Sie lässt trotzdem deutlicher werden, was Beckermann in ihrem Filmschaffen antreibt. Im Kern geht es nämlich darum, einen Film nicht als endgültiges, unumstößliches Urteil zu verstehen, sondern um eine Auseinandersetzung mit Bildern und Tönen der Welt. Those who go those who stay ist folgerichtig keine Zusammenfassung einer spezifischen Position, sondern ein Angebot noch einmal Bilder und Töne der Welt zu sichten und zu hören, die bisher eine wichtige Rolle in Beckermanns Werk gespielt haben. Ein roter Faden ergibt sich nicht aus der Zusammenführung verschiedener motivischer Stränge, sondern aus der Verdichtung parallellaufender roter Fäden, die sich mal deutlicher, mal weniger deutlich durch ihr Werk zogen.
Assoziative Sprünge durch Raum und Zeit
Die Schwerpunktsetzung lagert Beckermann dabei auf das Publikum aus und geht dabei noch radikaler vor als sie das in ihren früheren Filmen getan hat. Kaum etwas verbindet die kurzen, oft jäh abbrechenden Episoden, die Beckermann zu diesem Film zusammengesetzt hat, außer einem Willen zur Assoziation und vor allem zur Neugier. Welche Orte sind das, die sie bereist: ist das Wien? Paris? Israel? Czernowitz? Italien? Welche Menschen sind das, mit denen Beckermann spricht: ist das ihre Mutter? Freunde? Feinde? Flüchtlinge? Was „erzählt“ ein Film, der so wild durch Raum und Zeit springt: ein Krankenhausbesuch bei der Mutter; dann ein Gespräch mit Matthias Zwilling, einem der letzten Juden in Czernowitz (wo Beckermanns Vater geboren ist); dann wieder ein Besuch einer FPÖ-Veranstaltung am Wiener Stephansplatz; zwischendurch Aufnahmen aus Israel; gegen Ende afrikanische Flüchtlinge in Süditalien – einige Jahre bevor neue Kriege und neues Leid Europa einen Flüchtlingsstrom bescherte, der verheerende politische Kurzschlussreaktionen auslöste.
Mögliche Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Vignetten lassen sich mühelos herstellen. Die Volkstümelei der FPÖ trifft auf die weit entfernte Not abgekämpfter Flüchtlinge, deren Fluchtroute sich zu weiten Teilen mit jener der Mutter deckt, als sie 1938 Wien verlassen musste. Sie floh freilich in die andere Richtung: Nach Israel, dem „Land der einzigen Möglichkeit“, zu dem Beckermann – und viele andere, die dieses Land nicht primär als theologische Konstante verstehen – ein schwieriges Verhältnis hat. Verbindungen über Verbindungen, Querverbindungen über Querverbindungen. Es hilft natürlich, wenn man über ein gewisses Vorwissen besitzt, wenn man Those who go those who stay sieht. Dann lässt sich Beckermanns Verhältnis zu den Menschen und zu den Orten im Film besser ausloten und verstehen. Tatsächlich ist ein solches Vorwissen aber nicht zwingend notwendig. Es war der erste Film von Beckermann, den ich überhaupt gesehen habe und er funktionierte auch ohne viel Verständnis für die persönliche Beziehung der Filmemacherin zu den Sujets ihres Films, denn die Fragen, die der Film verhandelt sind universal, die Gespräche und Gesprächsfragmente geben genug Information, um sich selbst einen Reim zu machen.
Teppich der Erfahrungen
Darin liegt eine Qualität von Beckermanns Filmschaffen: im freien Changieren zwischen Individualität und Universalität. So wie es Franz West in Wien retour gelingt aus seinem eigenen Schicksal auf das Schicksal der österreichischen (und europäischen) Juden zu abstrahieren, so gelingt es Beckermann in ihren Filmen aus einer biographischen Erzählung, über die Existenz und Identität eines ganzen Volks zu reflektieren. Those who go those who stay macht evident, dass eine solche Reflektion nicht über einen philosophischen Kommentar stattfinden muss, der erklärt, wie all diese Bilder und Töne zusammenhängen; und auch nicht über kathartische Momente oder andere Versuche Emotionen zu konstruieren. Die Zusammenhänge stellen sich dann her, wenn die Bilder und Töne aufeinandertreffen – und auf den Erfahrungshorizont des Publikums. Beckermann tritt mit Kamera und Tonaufnahmegerät den Menschen und der Welt gegenüber und breitet einen Teppich aus Fragmenten aus. Ein wirrer, löchriger Teppich ist das, ein Teppich, an den man herantreten muss, an dessen Vervollständigung man selbst arbeiten muss.
Wo soll man bloß aufhören?
(Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 02.10.2017)
Mit Those who go those who stay zieht Ruth Beckermann nach über dreißig Jahren des Filmemachens in vielerlei Hinsicht Zwischenbilanz. Ein solches Resümee, so könnte man meinen, fasst lose Enden zusammen, ergänzt bisher Nicht-Erzähltes oder Nicht-Gezeigtes, gibt Auskunft über Motivationen für das Filmemachen, schließt ein Kapitel, einen Lebensabschnitt ab. Those who go those who stay ist da anders: das Unabgeschlossene Beckermanns früherer Filme findet hier keinen Abschluss, sondern eine Fortsetzung, kein Gedanken daran verschwendet die mannigfaltigen Themen und Motive ihrer vorherigen Arbeiten in einem letzten Kraftakt zu einem Gesamtkunstwerk abzurunden. Nein, diese Zwischenbilanz ist widerständig. Sie lässt trotzdem deutlicher werden, was Beckermann in ihrem Filmschaffen antreibt. Im Kern geht es nämlich darum, einen Film nicht als endgültiges, unumstößliches Urteil zu verstehen, sondern um eine Auseinandersetzung mit Bildern und Tönen der Welt. Those who go those who stay ist folgerichtig keine Zusammenfassung einer spezifischen Position, sondern ein Angebot noch einmal Bilder und Töne der Welt zu sichten und zu hören, die bisher eine wichtige Rolle in Beckermanns Werk gespielt haben. Ein roter Faden ergibt sich nicht aus der Zusammenführung verschiedener motivischer Stränge, sondern aus der Verdichtung parallellaufender roter Fäden, die sich mal deutlicher, mal weniger deutlich durch ihr Werk zogen.
Assoziative Sprünge durch Raum und Zeit
Die Schwerpunktsetzung lagert Beckermann dabei auf das Publikum aus und geht dabei noch radikaler vor als sie das in ihren früheren Filmen getan hat. Kaum etwas verbindet die kurzen, oft jäh abbrechenden Episoden, die Beckermann zu diesem Film zusammengesetzt hat, außer einem Willen zur Assoziation und vor allem zur Neugier. Welche Orte sind das, die sie bereist: ist das Wien? Paris? Israel? Czernowitz? Italien? Welche Menschen sind das, mit denen Beckermann spricht: ist das ihre Mutter? Freunde? Feinde? Flüchtlinge? Was „erzählt“ ein Film, der so wild durch Raum und Zeit springt: ein Krankenhausbesuch bei der Mutter; dann ein Gespräch mit Matthias Zwilling, einem der letzten Juden in Czernowitz (wo Beckermanns Vater geboren ist); dann wieder ein Besuch einer FPÖ-Veranstaltung am Wiener Stephansplatz; zwischendurch Aufnahmen aus Israel; gegen Ende afrikanische Flüchtlinge in Süditalien – einige Jahre bevor neue Kriege und neues Leid Europa einen Flüchtlingsstrom bescherte, der verheerende politische Kurzschlussreaktionen auslöste.
Mögliche Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Vignetten lassen sich mühelos herstellen. Die Volkstümelei der FPÖ trifft auf die weit entfernte Not abgekämpfter Flüchtlinge, deren Fluchtroute sich zu weiten Teilen mit jener der Mutter deckt, als sie 1938 Wien verlassen musste. Sie floh freilich in die andere Richtung: Nach Israel, dem „Land der einzigen Möglichkeit“, zu dem Beckermann – und viele andere, die dieses Land nicht primär als theologische Konstante verstehen – ein schwieriges Verhältnis hat. Verbindungen über Verbindungen, Querverbindungen über Querverbindungen. Es hilft natürlich, wenn man über ein gewisses Vorwissen besitzt, wenn man Those who go those who stay sieht. Dann lässt sich Beckermanns Verhältnis zu den Menschen und zu den Orten im Film besser ausloten und verstehen. Tatsächlich ist ein solches Vorwissen aber nicht zwingend notwendig. Es war der erste Film von Beckermann, den ich überhaupt gesehen habe und er funktionierte auch ohne viel Verständnis für die persönliche Beziehung der Filmemacherin zu den Sujets ihres Films, denn die Fragen, die der Film verhandelt sind universal, die Gespräche und Gesprächsfragmente geben genug Information, um sich selbst einen Reim zu machen.
Teppich der Erfahrungen
Darin liegt eine Qualität von Beckermanns Filmschaffen: im freien Changieren zwischen Individualität und Universalität. So wie es Franz West in Wien retour gelingt aus seinem eigenen Schicksal auf das Schicksal der österreichischen (und europäischen) Juden zu abstrahieren, so gelingt es Beckermann in ihren Filmen aus einer biographischen Erzählung, über die Existenz und Identität eines ganzen Volks zu reflektieren. Those who go those who stay macht evident, dass eine solche Reflektion nicht über einen philosophischen Kommentar stattfinden muss, der erklärt, wie all diese Bilder und Töne zusammenhängen; und auch nicht über kathartische Momente oder andere Versuche Emotionen zu konstruieren. Die Zusammenhänge stellen sich dann her, wenn die Bilder und Töne aufeinandertreffen – und auf den Erfahrungshorizont des Publikums. Beckermann tritt mit Kamera und Tonaufnahmegerät den Menschen und der Welt gegenüber und breitet einen Teppich aus Fragmenten aus. Ein wirrer, löchriger Teppich ist das, ein Teppich, an den man herantreten muss, an dessen Vervollständigung man selbst arbeiten muss.
Wo soll man bloß aufhören?
(Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 02.10.2017)
Orig. Title
Those Who Go Those Who Stay
Those Who Go Those Who Stay
Year
2013
2013
Country
Duration
75 min
75 min
Category
Documentary
Documentary
Orig. Language
German, Mandinka, french
German, Mandinka, french
Subtitles
English
English