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Alfred Kaiser

Decomposing Nazi Phraseology

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In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre trat der bis dahin im Filmbereich völlig unbekannte Alfred Kaiser mit zwei Filmen an die Öffentlichkeit: mit Ein drittes Reich (1975) und Ein drittes Reich aus seinem Abfall (1977). Die beiden Kompilationsfilme, an der Schnittstelle von Avantgarde- und Dokumentarfilmkino realisiert, wurden bei ihrem Erscheinen von Kritik und Publikum enthusiastisch aufgenommen. (...) Für die beiden knapp halbstündigen Arbeiten verwendete Kaiser ausschließlich filmisches Material aus der Zeit der nationalsozialistischen Filmproduktion. Er kombinierte in beziehungsreichen Bild/Ton-Montagen eine Fülle von Ausschnitten aus Kultur-, Industrie- und Spielfilmen sowie propagandistischen NS-Wochenschauen und Amateuraufnahmen der 1930er und 1940er Jahre. Ein drittes Reich und Ein drittes Reich aus seinem Abfall sind vielschichtige Kompositionen, die auf die analytische Kollision von Bild- und Tonmetaphern setzen: Kurz gesagt sind sie in ihrer kritischen Konzeption gleichermaßen Veranschaulichung und Zerstörungsversuch des nazistischen Bilder- und Gedankenkosmos.
(Constantin Wulff)


Booklet
Alfred Kaiser, Aquarell 10.01.1975
Alfred Kaiser, Aquarell 01.02.1975
Alfred Kaiser, Aquarell 17.01.1975
Biographie
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Gesamtspieldauer: 52 min
Extra DVD: 22-seitige zweisprachige Broschüre Deutsch-Englisch

Extra:
21 AQUARELLE: HITLER SERIE 1974/75
Für die Hitler Serie griff Alfred Kaiser auf verschiedene Malstile, historische Fotografien und Referenzbilder der Kunstgeschichte zurück.

Constantin Wulff
Der Mythenzerstörer

Längst ist Filmgeschichte zur Archäologie geworden; zu einer Archäologie, die ihre Zeiträume allerdings nicht in Jahrhunderten oder Jahrzehnten mißt, sondern bereits in der Spanne von nurmehr wenigen Jahren. Die Beschleunigung des Kinobetriebes durch Industrie, Festivals und Publikationen, die scheinbare Verfügbarkeit der Filmgeschichte durch die Möglichkeit des schnellen Zugriffs und das wachsende Arsenal kinematographischer Enzyklopädien: all diesen Gedächtnishilfen steht in der Praxis - paradoxerweise - ein scheinbar immer größer werdender Erinnerungsschwund gegenüber. Nicht zuletzt unter diesen Vorzeichen muß das Fehlen einer angemessenen Würdigung des filmischen Werks von Alfred Kaiser gesehen werden, das selbst bei profunden Kennern der heimischen Szene völlig in Vergessenheit geraten und deshalb seit nunmehr fünfzehn Jahren praktisch unaufgeführt geblieben ist. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre realisierte der vielseitig begabte Alfred Kaiser - der auch als Maler, Komponist, Musiker, Schriftsteller und Paläontologe tätig war - in nur vier Jahren vier außerordentliche Filme: Ein drittes Reich (1975), Ein drittes Reich aus seinem Abfall (1976/77), Kaiserschnitt - eine Operette (1977) und Zetteldämmerung (1979). Vielen galten damals die Filme Kaisers als wichtige Exponate des "Neuen Österreichischen Films"; die komplexen Filmcollagen wurden in den siebziger Jahren als erste Früchte einer veränderten Förderungspolitik des Kunstministeriums gesehen. Besonders Kaisers Debütfilm Ein drittes Reich erhielt von der Kritik einhelliges Lob und wurde als exemplarische Arbeit eines "international in sehr hohem Maße konkurrenzfähigen" österreichischen Films eingestuft. (1)

Der 1940 in Wien geborene Kaiser hatte mit Ein drittes Reich als filmischer Autodidakt - auf Anregung Peter Kubelkas - aus altem Filmmaterial der dreißiger und vierziger Jahre eine Kompilation montiert, die das Pathos und die Klischees nazistischer Propaganda in all ihren Facetten - Kultur- und Spielfilme, Wochenschauen, Amateuraufnahmen - filmisch virtuos kommentierte. Was Kaisers halbstündigen Film Ein drittes Reich auch heute noch so erstaunlich modern erscheinen läßt, ist die kritische, aber gänzlich undidaktische Vorgehensweise: das Bild- und Tonmaterial ist nicht mit spitzen Fingern und leichten Entschuldigungen bearbeitet, sondern - musikalischen Prinzipien folgend - gleichermaßen Veranschaulichung und Zerstörung des nazistischen Bilder- und Gedankenkosmos. In ähnlicher Weise verfuhr Kaiser auch ein Jahr später mit dem Nachfolgefilm Ein drittes Reich aus seinem Abfall, der noch radikaler Bilderkritik auf höchstem Niveau demonstrierte: Mittels einer formalen Sicherheit, die an die Meisterwerke Bruce Conners erinnert, gelang es Kaiser, seine Bedeutungskonstruktionen in der Auseinandersetzung mit dem "deutschen Mythos" nochmals zuzuspitzen. (2)

Mit dem bald darauf erarbeiteten Bilder-Panorama über die Zeit des untergehenden Habsburger-Imperiums Kaiserschnitt - eine Operette wagte sich Kaiser erstmals an ein abendfüllendes Werk: Ausschließlich aus Foto- und Filmdokumenten der Jahre 1895 bis 1914 collagiert, komponierte Kaiser einen historischen Totentanz, "eindrucksmächtig, einbrechend in Tiefenschichten von Menschen, die sich ihm aussetzen, wo er die große Zertrümmerung montiert", wie es seinerzeit Friedrich Heer formulierte. (3) Das eineinhalbstündige Künstlerportrait Zetteldämmerung über den Schriftsteller und Zettelpoeten Christian Ide Hintze zeigte Kaiser ein Jahr später erstmals als Dokumentaristen im engeren Sinne: Die Aufzeichnungen einer Tournee-Reise Hintzes durch Deutschland und die Niederlande waren allerdings weit entfernt von einer bloßen Dokumentation eines Künstlerlebens, sondern inszenierten kompromißlos eine epische Studie über den Alltag eines Unentwegten. Weder Kaiserschnitt noch Zetteldämmerung fanden in Österreich einen Filmverleih; das Publikum blieb den Filmen fern und auch die Kritik versagte sich - mit Ausnahmen - eine adäquate Auseinandersetzung.

Zu Beginn der 80er Jahre hatte Alfred Kaiser seine Hoffnungen aufgeben müssen, nach jahrelangen, zermürbenden Grabenkämpfen mit den heimischen Förderungsgremien, weiterhin Filme in Österreich zu realisieren. Er konzentrierte sich wieder auf seine ursprünglichen Passionen, die Malerei und die Musik, und zog sich zur Gänze vom heimischen Filmbetrieb zurück; aufs Land, zuerst nach Hausbrunn, später ins Waldviertel. Das filmische Verstummen Kaisers - dies bleibe an dieser Stelle nicht unerwähnt - geht einher mit dem Inkrafttreten des jahrzehntelang überfälligen Filmgesetzes vom 1. Jänner 1981, einer tiefgreifenden Umwälzung der heimischen Förderstrukturen. Mit dem neuen Filmgesetz erfolgte die Gründung des "Österreichischen Filmförderungsfonds" (öFF, heute ÖFI) und die damit verbundene striktere Differenzierung zwischen "großem Kinofilm" (vom öFF betreut) und "kleinem Rest" (vom Kunstministerium geförderte Dokumentar-, Avantgarde- und Videoprojekte). In dieses Raster, das generell nurmehr wenig Spielraum für unkonventionelle Arbeiten ließ (ein Spielfilm-Drehbuch Kaisers wurde zwischen BMUK und öFF lange Zeit hin- und hergeschoben und schließlich abgelehnt), paßte ein unbequemer Einzelgänger wie Alfred Kaiser nicht hinein. Seine weiteren Filmprojekte blieben unrealisiert.
Am 27. März 1994 ist Alfred Kaiser, unbemerkt von der Öffentlichkeit, gestorben.

Anmerkungen:
(1) zit. Franz Manola: "Die Ringstraße weint: Sensationelle Lebenszeichen des österreichischen Films", in: "Die Presse", 18. Oktober 1975.
(2) Eine Komplexität, die Kaiser allerdings zu "gefährlich" erschien: Er versah den Film zu Beginn mit einer "Warnung", ihn nur in "privaten Cirkeln" vorzuführen; bis heute besteht zudem die strikte Weisung, Ein drittes Reich aus seinem Abfall nur zusammen mit Ein drittes Reich zu zeigen.
(3) zit. Friedrich Heer: "Mythos ‘Kaiserschnit’", in: "Morgen" Nr.4, Wien, 1978.