Die Metamorphosen des Eros

Fr 5. März 1993 - Mi 10. März 1993 22:00
Stadtkino

Neue Avantgarde-Filme aus Österreich, Großbritannien, Deutschland und den USA

Körperzeichen. Die Metamorphosen des Eros, die diesem Programm als Titel vorangestellt sind, beziehen sich auf vier der insgesamt fünf hier versammelten Filme. Ihre Geschichten handeln von der Geschichte des Körpers und seiner Sinnlichkeit. 
Zugleich wollen wir einige der schönsten Avantgarde-Filme der Jahre 1992/93 präsentieren. Unmittelbar Anlaß dafür ist die Fertigstellung von passage à l'acte, dem neuen Film von Martin Arnold, vier Jahre nach den internationalen Erfolgen von pièce touchée, der, mit nicht weniger als 14 Preisen dekoriert, zu einem der bislang erfolgreichsten Filme Österreichs geworden ist. 

Pièce touchée analysierte die Begegnung von Mann und Frau. Kapitel 2: passage à l'acte drängt an jenen Ort, wo das Verhalten der Geschlechter zueinander geprägt wird.
Die zweite österreichische Arbeit im Programm ist mein Film Parallel Space: Inter-View, der bei der Viennale '92 uraufgeführt wurde. Die gemeinsame Präsentation von passage à l'acte und Parallel Space: Inter-View ist schon längere Zeit geplant.

Beide Werke konzentrieren sich auf das einzelne Filmbild und sind von diesem her aufgebaut, und beide Filme berühren den ödipalen Konflikt als eines ihrer Themen: in passage à l'acte als Entlarvung der Autoritäts- und Konfliktkonstellationen innerhalb der Kleinfamilie; Parallel Space: Inter-View vergleicht den voyeuristischen Kino-Blick mit jenem auf die Urszene.

Das weitere Programm wurde überaus pragmatisch erstellt: Wir haben bei den Schöpfern unserer Lieblingsfilme der vergangenen Jahre nachgefragt, ob neue Arbeiten fertig sind. Wir stießen nicht nur auf Filme, die sich ebenfalls mit dem Körper befassen, sondern haben auch prompt einen neuen Trend entdecken und ins Programm importieren können. Was sich nämlich sanft im Hintergrund von passage à l'acte und Parallel Space: Inter-View regt, präsentiert sich auf internationalem Terrain zur Zeit als eine Renaissance des Psycho-Dramas, wie es seine Hochblüte in den 60er Jahren in Filmen von Stan Brakhage, Kenneth Anger und Gregory Markopoulos gefunden hatte.

Nachweislich kennen Matthias Müller und Michael Maziere bislang nicht den Film des jeweils anderen. Dennoch scheinen Sleepy Haven und The Red Sea bis in die Farbgebung hinein aufeinander abgestimmt zu sein. Schwer-schwülstige erotische Liebesphantasien, leuchtend monochrom, ein dampfendes Rot bei Maziere, der vergebliche Versuch einer Abkühlung in Blau bei Müller. Beiden Filmen sind Gedichtzeilen vorangestellt, aus Rimbauds "Trunkenem Schiff" dem einen, gleichfalls "Meeriges" von Joseph Conrad dem zweiten. Beide Filme dringen ins Feuchte ein, lassen fragmentierte Schriftzüge in Wasser auftauchen, verwenden das Motiv des Ertrinkens, bedienen sich kongenialer, wuchtig-getragener Musik.

Michael Maziere gilt es in Österreich noch zu entdecken. Als Spezialist für die restlose Enthusiasmierung vollbesetzter Kinosäle hat sich bereits Matthias Müller bewährt: mit Aus der Ferne - The Memo Book und mit seinen Home Stories beim Found-Footage-Festival von 1991. 

Nicht nur ein Star des Found-Footage-Films- auch ein Pionier in den "Unknown Territories" der amerikanischen Independents war Phil Solomon. Sein Film Clepsydra ist der einzige Film in dieser Auswahl, der sich nicht mit der Suche nach dem Körper und der Geschichte seiner Sinnlichkeit beschäftigt, sondern mit der Zeit dieses Körpers. Eine Metamorphose ist Clepsydra aber trotzdem. Solomon dringt tief in den Körper der Kinematographie ein. Seine Bilder sind das Produkt von Säurebädern, die sich in die Emulsion fressen und ein Flair des Unwirklichen hervorbringen, bis es den Charakter der Kinematografie insgesamt widerzuspiegeln scheint. Wollte man in der Sphäre der Poeten und Dichter bleiben, dann wäre Clepsydra Proust verpflichtet. Im Fließen des Filmstreifens durch den Projektor findet Solomon seine Metapher für das Unwiederbringliche der Zeit, zugleich auch die Möglichkeit der Erinnerung. (Peter Tscherkassky) 

Programm
Parallel Space: Inter-view (Peter Tscherkassky, AUT 1992, s/w, Ton, 18 Min.) 
The Red Sea (Michael Maziere, GB 1992, Farbe, Ton, 22 MIn.) 
Sleepy Haven (Matthias Müller, D 1993, s/w, Ton, 15 Min.)
Clepsydra (Phil Solomon, USA 1992, s/w, stumm, 15 Min.) 
passage à l'acte (Martin Arnold, AUT 1993, b/w, Ton, 12 Min.) 

Ein gemeinsames Programm von sixpackfilm und Stadtkino

Programmzusammenstellung Martin Arnold, Brigitta Burger-Utzer, Peter Tscherkassky