Found Footage. Filme aus gefundenem Material

Sa 1. Juni 1991 - So 9. Juni 1991 21:00
Stadtkino

Lange Zeit waren unabhängige, nicht-kommerzielle Filme kulturell nahezu unsichtbar. Heute schälen sie sich aus dieser Isolation heraus. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Filmstilen, den diversen Produktionsmethoden und den unterschiedlichen Möglichkeiten, Zuseher:innen anzusprechen werden aufgehoben. 

"Footage" ist der amerikanische Fachausdruck für Filmmaterial. Er leitet sich vom Längenmaß für den Film, dem "foot" ab. "Found Footage" bezeichnet Filme, die teilweise oder zur Gänze aus fremdem, irgendwo und irgendwie vorgefundenem Filmmaterial hergestellt wurden. 
Die Idee zu einem Festival des Found Footage Films kam eher beiläufig auf. Wir wußten damals noch nicht, wie en vogue wir damit waren. Während der Vorbereitungen schien es manchmal, daß die gesamt internationale Filmwelt sich mit Found Footage beschäftigt. Verblüffend war das insofern, als diese Art von Film eine lange Tradition hat, die in den dreißiger Jahren beginnt; viele einzelne Arbeiten – allen voran Joseph Cornells Rose Hobart (1936-39) und später die Filme von Bruce Conner – wurden vor allem in den USA sehr bekannt. Als eigenständige Filmform aber war Found Footage nie mit soviel Aufmerksamkeit behandelt worden. 

Der Found Footage Boom ist nicht bloß Angelegenheit der Veranstaltungskalendarien und einschlägiger Fachjournale. Noch nie sind soviele Filme aus gefundenem Material entstanden wie in den letzten zehn Jahren. Und ausnahmsweise läßt sich das nicht mit einem Hinweis auf die sogenannte Postmoderne "erklären". Gerade hier läßt sich eher das Brüchige und Paradoxe dieses Begriffs aufzeigen. 

Die ersten Meisterwerke des Found Footage Films stammen aus den dreißiger Jahren. Seit damals ist Found Footage das künstlerische Forum angewandter Filmkritik. Das Festival stellt beides vor: die Geschichte und Entwicklung von Found Footage  ebenso wie seine heutige, aktuelle Bedeutung.
Das gesammte Programm ist auf elf Blöcke verteilt, von denen jeder ein inhaltliches oder formales Zentrum hat. 

Den Schwerpunkt in der Länderauswahl bilden die USA. Vor allem im letzten Jahrzent sind nirgendwo soviele "Second Hand" - Filme entstanden und populär geworden wie in den Vereinigten Staaten. 
Die Kuratorin der Chicago Filmmakers, Ines Sommer, wird die Produktion von 1980 bis 1990 in drei eigenen Blöcken vorstellen: Geschichte, Sexualität und Macht in radikal-privater Aneignung und Interpretation. Innerhalb des Programms sind auch personale Schwerpunkte gesetzt. Dem amerikanischen Pionier und Meister des Collage-Films, Bruce Conner, ist eine komplette Retrospektive gewidmet. Österreichischer Provenience sind die intensiven "Eindringungen", die Dietmar Brehm an seinem Ausgangsmaterial vornimmt, ob das nun Urlaubs- oder Pornofilme sind. Auch die Französin Cécile Fontaine ist mit einer Werkschau vertreten. Sie ist Spezialistin für Materialbearbeitung, badet die Filme in Säuren, trennt ihre Farbschichten, collagiert mehrere Filme übereinander, um nur ein paar Techniken zu nennen. Was bei ihr hand-made ist, sind beim Kanadier David Rimmer aufwendige Kopiertechniken, die eine Farb- und Formenwelt wie unterm Mikroskop enthüllen. Vier Filme werden von Rimmer zu sehen sein. 

Eigens hingewiesen sei auf zwei allzu selten gezeigte Klassiker. Tom, Tom, the Pipers Son von Ken Jacobs, der aus dem gleichnamigen Kurzfilm von 1905 eine zweistündige Reise des Blicks in vormals ungesehene visuelle Landschaften gezaubert hat. Und der italienische Film La Verifica Incerta, eine surrealistische Expedition durch die Orte, Zeiten und Menschen hunderter Hollywoodfilme. Handfest und real dagegen die wüsten Propagandaparodien der russischen Brüder Aleinikov, Filme aus dem sowjetischen Underground der achtziger Jahre.

Als Wegweiser durch die filmische Fülle des Festivals erscheint ein zwanzigseitiges Programmheft des Stadtkinos sowie eine Found Footage Sondernummer der Filmzeitschrift blimp. 

Programmüberblick
Bruce Conner Retrospektive
Pirates of Representation 
Second Hand Sex
Metamorphosen im Material
Sexual Politics
Death and the Self 
Die Unschuld des Frühen - Die Erlösung Hollywoods
Das zweite Gesicht 
Pornoverwesung
Die Subversion der Normen
Treibjagd im Archiv

Für das vollständige Programm und mehr Information siehe downloads

88 Filme aus 11 Ländern zeigt das Stadtkino in einem Festival des Found Footage Films

ein gemeinsames Programm von sixpackfilm und Stadtkino 

Konzept und Organisation Brigitta Burger-Utzer und Peter Tscherkassky
Unterstützung bei der Programmzusammenstellung Ines Sommer (Chicago Filmmakers), Miles McKane (Light Cone), Rose Lowder (Archives du Film Experimental d'Avignon), Sharon Sandusky (White Production Archives, Chicago)