Phil Solomon

Mi 23. März 1994 - Do 24. März 1994 21:00
Stadtkino Wien

In gewissem Sinn betrachte ich all mein Filmmaterial als „gefunden". (Heureka! Ich hab's gefunden!) Wenn man zugleich Kinematograph und Realisator ist, ergibt sich eine Verschiebung in der Verantwortung. Als Realisator versuche ich, das Material als SOLCHES und nicht als MEINES anzuschauen. Die Person, die das Material aufgenommen hat, existiert nicht mehr, sie hat eine Spur hinterlassen, einen Eindruck, einige Anhaltspunkte. Ich versuche oft, das Rohmaterial so aussehen zu lassen, als ob es von einer unbekannten Kameraperson zu einer unbekannten Zeit aufgenommen worden wäre - sehr wenig „Persönlichkeit", sehr wenig Kamerabewegung etc. Der Ausdruck beginnt mit den Bearbeitungen (sowohl chemischer als auch optischer Natur) und Nebeneinanderstellungen des Realisators. Ich werde an der optischen Bank zum Archäologen im umgekehrten Sinne - Schichten von Ablagerungen (Gefühlen?) werden hinzugefügt, um das kostbare Objekt wiederherzustellen. Mein künstlerisches Projekt erscheint mir wie ein fortwährender Versuch, mein ursprüngliches Material scheinbar nahtlos mit den Überresten anderer zu vernähen. Ein bißchen wie Dr. Frankenstein.

Es gibt viele Geschichten, die ich gerne erzählen (oder wieder-erzählen) würde. Wie auch immer, anderen Leuten zu sagen, wohin sie zu gehen haben („Markierungen"), was sie zu tun („Theaterarbeit"), was sie zu fühlen („Schauspielerei") und was sie zu sagen („Drehbuch") haben, ist meiner Ansicht nach durch und durch peinlich und ziemlich albern. Die meiste Filmarbeit dieser Art ist lediglich „Ausführung", d.h. WIE GUT HABEN WIR DIE SACHE ABGEZOGEN? Ich muß glauben, daß das zweidimensionale Material einen Wahrheitsgehalt entsprechend meinem Allgemeinwissen aufweist ... Es ist für mich nicht einfach, mein Mißtrauen in Bezug auf mein eigenes Material, das ich selber ersonnen habe, einzustellen (andere Leute führen mich die ganze Zeit an der Nase herum) . . . Wie ein Dieb breche ich des Nachts ins Kinohaus ein und leihe (kopiere) mir anderer Leute „Ausführungen", nur um sie am Morgen wieder zurückzubringen. Hoffentlich (wieder, wie Dr. Frankenstein) gelingt es mir, mit Hilfe von Chemie und Elektrizität, das Material zum LEBEN zu erwecken, es neu zu machen. 

(Phil Solomon, für den Katalog "Found Footage Film"; VIPER 1992)

Programm
The Secret Garden (USA 1988, 16mm, Farbe, 23 Min.) 
Nocturne (USA 1980/1989, 16mm, s/w, 10 Min.)
Remains to be seen (USA 1989-90, super-8, Farbe, 17 Min.)
THe Exquisite Hour (USA 1989, Super-8, Farbe, 14 Min.) 
THe Passage of the Bride (USA 1979/80, 16mm, s/w, 6 Min.) 
What's out Tonight is Lost (USA 1983, 16mm, 16 B.p.s., Farbe, 8 Min.)
Clepsydra (USA 1992, 16mm, s/w, 15 Min.)
Elementary Phrases (Stan Brakhage/Phil Solomon, USA 1994, 16mm, Farbe, 35 Min.)
The Summit (USA 1994, 16mm, Farbe, 17 Min.) 

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Moderation Martin Arnold und Brigitta Burger-Utzer

eine Veranstaltung von sixpackfilm

© image Jean-Michael Seminaro

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