Der Mensch mit den modernen Nerven

Eine Pyramide, gar nicht statisch, vielmehr durch Kamerafahrten, Schnitte und Überblendungen immer rascher in Bewegung gebracht. Die Kino-Illusion führt die einzelnen Teile durcheinander, fügt sie zu einer symbolhaften Zeichnung der regen Gedankengänge von Adolf Loos: Eine Hochgeschwindigkeitsfahrt durch das Rückenmark des revolutionären Architekten.

(Peter Illetschko)


Zahlreiche Filmemacher haben die Stadt filmisch dargestellt, aber nur wenige haben mit dem architektonischen Material an sich gearbeitet. Aus dieser Sicht ist der Fall der Wiener Filmregisseure Bady Minck und Stefan Stratil ziemlich beispielhaft.
Für ihren Film Der Mensch mit den modernen Nerven stellten sie ein Modell nach den Skizzen des Architekten Adolf Loos her, die dieser 1923 für ein Rathausprojekt in Mexiko-City entworfen hatte. Bei dem von Loos geplanten Gebäude handelt es sich um eine Stufenpyramide, die im filmischen Prozess in ein abstraktes Spiel der geometrischen Formen, der Lichter und Schatten gebracht wird, das an bestimmte Filme der 20er Jahre erinnert, etwa an „Orgelstäbe“ von Oskar Fischinger (1923-1927). Über die Animation des Modells weit hinausgehend, beschäftigt sich der Film mit Adolf Loos‘ architektonischen Konzepten zur Fläche und zum Volumen des Raums.

(Jean-Michel Bouhours, „La caméra expérimente la ville“,
Erschienen in „La ville et le cinéma“ Éditions Centre Pompidou, Paris 1994)



Die Fertigstellung eines Bauwerks ist immer auch ein Innehalten: das Unterbinden einer in der Planung mitgedachten Bewegung. Einen (architektonischen Skizzen und Modellen innewohnenden) Bewegungsgedanken effektvoll in Bewegung überführend, lassen Bady Minck und Stefan Stratil in Der Mensch mit den modernen Nerven die von Adolf Loos 1923 gezeichneten Entwürfe für ein Rathaus in Mexiko City aus dem Zeichentisch wachsen – und in der Folge zum fließenden Rahmen einer schwindelerregenden Komposition sich überstürzender, schneidender und im Widerstreit ständig neu formierender Modellumrisse werden. Die multilinearen Bewegungen ergänzend (und eine solche Bewegungsvorstellung mitbegründend), fügt sich ein tricktechnisch mobilisierter Autoverkehr in den zwingend anmutenden Fluß der Formen.

Mit einem kongenialen minimal music Schmuckstück von André Mergenthaler verstärken Minck & Stratil schließlich die durch Reduktion und Repetition der Grundformen gewonnene Energie und suggestive Wirkung der Bildmotive. Ihr Film ist die Entfesselung einer (architektonischen) Idee von Bewegung, oder, einem zu Beginn eingeblendeten Zitat Adolf Loos‘ folgend, das „Lösen des Grundrisses im Raum“ – in diesem Fall einem filmischen Raum.

(Robert Buchschwenter, In: Programmheft Filmcasino, Wien, Mai 1999)

Orig. Titel
Der Mensch mit den modernen Nerven
Jahr
1988
Land
Österreich
Länge
8 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch, Französisch
Credits
Regie
Stefan Stratil, Bady Minck
Verfügbare Formate
16 mm (Originalformat)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
Farbe, s/w
DCP 2K flat
Digital File (prores, h264)
Festivals (Auswahl)
1998
Hiroshima - Int. Animation Festival
2001
Graz - Diagonale, Festival des Österreichischen Films