de natura tenebrarum – about the nature of darkness

Die moralische Selbstgewissheit der Märchen verliert sich im Innern  jenes finsteren Waldes, den Manuel Knapp mit seinen Projektions- und Aufzeichnungsgeräten heimgesucht hat: In die existenzielle Finsternis einer winterlichen Waldlandschaft bei Neumond wirft er filigranes weißes Licht, die fremden kalligrafischen Signale einer digitalen Abstraktion – und veranstaltet, indem er auf Geäst und Baumstämmen eine Art Schrift aufblitzen lässt, eine kryptische Choreografie, ein Spiel aus Ver- und Enthüllung. 
Was zunächst aussehen mag wie Bilder aus dem Rechner, wie ein elektronischer Partikelsturm, ist in Wahrheit nur ein unorthodoxer Lichtertanz: Man assoziiert Schneetreiben und Insektenschwärme, die tausend Sonnen des Nachthimmels, man meint Wasser glitzern zu sehen, und die abstrakte Avantgarde der 1920er-Jahre, insbesondere Viking Eggelings Diagonal-Symphonie kommt einem ebenfalls in den Sinn. Alles vibriert, schwebt, flirrt hier: asketische Malerei in Bewegung.
Eine Lichtschranke wird anfangs errichtet: die Illusion einer kurzfristig geteilten Leinwand. Der Teilchenflug setzt mit ein paar Sekunden Verzögerung ein: ein präziser und in aller Härte gesetzter Reigen vertikaler und horizontaler Schlaglichter. Auch der black noise der Tonspur ist gewissermaßen organisch entstanden: Er besteht aus Aufnahmen eines durch den Wald rauschenden Sturms. In der Mitte der Arbeit und an ihrem Ende legt eine Art Kurzschluss den Bild- und Tonbetrieb wie eine Implosion lahm – ein akustischer Schock, abgeleitet aus dem Knacken eines Asts. Das Tiefschwarz der Nacht und das Grellweiß des projizierten Lichts wird von einer Andeutung zarter Naturfarbe ergänzt. de natura tenebrarum erscheint abstrakt und gegenständlich, mikroskopisch und kosmisch zugleich: ein Film, der Höhlenmalerei und Zukunftsschrift in sich vereint. 
Nichts sei im Verstand, das nicht zuvor die Sinne durchlaufen habe, steht am Anfang zu lesen. Der Philosoph Thomas von Aquin hat dies einst geschrieben – und jede Erkenntnis auf konkrete Erfahrung zurückgeführt. (Stefan Grissemann)

Orig. Titel
de natura tenebrarum – about the nature of darkness
Jahr
2025
Land
Österreich
Länge
14 min
Regie
Manuel Knapp
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
Kein Dialog
Credits
Regie
Manuel Knapp
Konzept & Realisation
Manuel Knapp
Verfügbare Formate
DCP 4K (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
30 fps
Farbformat
Farbe