Auf der hohen See, Teil 1: Vom aufkeimenden Entschluss, wohl oder übel eine Reise antreten zu müssen
Die gefundenen Filmbruchstücke tanzen, traktiert und koloriert, zu ominös gesetzter Musik, die vom Atonalen ins Elektronische kippt und weiter in die Geschmacksrichtungen Krautrock, Noise und Free Jazz. Die Sicht auf die ephemeren Bilder, weitgehend aus alten Dokumentar-, Amateur- und Werbefilmen bezogen, ist eingeschränkt, durch einkopierte Gitter und Netze blockiert. Das Klima erscheint maritim bis martialisch: Ein gigantisches Schiff legt ab, das wohl eher Kriegszwecken dient als dem Transport von Urlaubsreisenden.
Unter dem etwas sperrigen, sanft widersprüchlichen Titel Auf der hohen See, Teil 1: Vom aufkeimenden Entschluss, wohl oder übel eine Reise antreten zu müssen – kann man etwas beschließen, das notgedrungen getan werden muss? – fährt Ralf Petersen ein beeindruckendes Arsenal an Bewegtbildmanipulationen auf. Querfeldein jagt er durch die Assoziationsräume, zieht eine Art Bilanz der analogen Kinoavantgarde, in Anspielungen auf u.a. Dziga Vertovs Sowjetrevolutionspathos, Stan Brakhages winterlichen Dog Star Man und die geträumt-unheilvollen Motivwiederholungen Bruce Conners.
Sprunghaft verfährt Petersen, setzt seine Szenen in stockende Bewegung: Die Bilder zittern, zucken und gefrieren, werden mit Farbfiltern behelligt (Lieblingston: blutrot), mit Verschmutzungen und Verkratzungen, Bemalungen, Durchlöcherungen und Seitenverkehrungen strapaziert. Die Materialität des Mediums wird hier gepflegt, der Instabilitätspakt gefeiert, den das Kino mit sich selbst geschlossen hat. Die pointierte, doch kryptische Montage ist mit untergründigem Witz imprägniert, genießt ihre Tonlöcher und Stagnationsmomente.
Der Widerspruchsgeist in Auf der hohen See lebt in den Zwischenräumen einer gegenständlichen Unanschaulichkeit. Am Meer werden die Dinge ungreifbar, sie rinnen, stolpern unablässig davon: ein ocean motion picture im Psychedelia-Farbenrausch. (Stefan Grissemann)
Eine Found-Footage-Arbeit, bestehend aus zerkratzten, flackernden Filmresten auf 35mm, 16mm und 8mm. Episch ist nicht nur der Titel, sondern auch das die Fragmente einende Motiv: eine Reise auf hoher See. Doch diese will erst vorbereitet werden. Da sind Schiffe, im Dock, im Hafen, vor der Küste, und Personen, die auf sie zu oder an Bord gehen, an der Reling eine Pulle Rum leeren. Anderes spielt fern der See: Ein Mann stapft durch Schnee, ein Gitarrenspieler greift in die Saiten. Stets kehren dieselben Bildschnipsel wieder, in immer neuen Konstellationen und Farbverläufen, und mit ihnen der Moment des Aufbruchs, der ausgedehnt und suspendiert wird: Die Reise wird (noch) nicht angetreten. Als müssten, vor der Ausfahrt, die Bilder von Menschen und Schiffen erst miteinander verbunden, eine Besatzung zusammengestellt werden. Ein Film übers Vorbereiten: einer Reise, eines Abenteuers, eines weiteren Films. Teil 2 kann kommen. (Philipp Stadelmaier, Diagonale 2024)
Auf der hohen See, Teil 1: Vom aufkeimenden Entschluss, wohl oder übel eine Reise antreten zu müssen
2023
Österreich
10 min