DIN 18035
Ein Fußballfeld entsteht, nach einem bis ins Detail normierten Prozess. Sand- und Erdschichten werden aufgeschüttet und planiert, Rasenstücke ausgerollt und zugeschnitten. Nichts wird dem Zufall überlassen. Erst wenn Natur in Form gegossen ist, kann das Spiel beginnen.
Baggerschaufeln rauen Erde auf, massive Walzen ebnen sie wieder ein. Pflugartiges Gerät fräst Furchen ins gepresste Erdreich, Planierraupen hinterlassen symmetrische Muster im Sand. Das Gras wiederum wird ausgerollt wie ein Teppichboden, zusammengesetzt wie ein Puzzlespiel. Maschinenballett und Innenarchitektur ergeben gemeinsam ein Fußballfeld, das vieles ist, aber sicher kein Bolzplatz.
Die Einstellungen verdrängen jede menschliche Präsenz aus dem Bildfeld, die Montage verdichtet den Arbeitsprozess zur quasiautomatischen Mechanik. So kann Simona Obholzers Film auch als alternative Schöpfungsgeschichte verstanden werden, als Frankenstein-Mythos für die verwaltete Welt. Eine DIN-Norm zu befolgen, die die Genese einer Rasenfläche regelt: Steckt darin nicht auch das Fantasma, die Erdgeschichte neu schreiben, die Kontingenz geologischer und biologischer Prozesse durch regelhafte Planung ersetzen zu können? (Lukas Foerster / Diagonale Katalog 2024)
Die erste Einstellung ist Erde. Könnte ein zerfurchter Acker sein, aber dazu ist der Boden eigentlich zu flach und zu steinig, Orientierungslosigkeit macht sich breit. Sie wird im Laufe des Films zerstreut, ganz langsam erschließen die Bilder den Gegenstand, geben das Geheimnis preis. Der Wind weht laut, es muss sich um ein großes Gelände handeln, auf der Bildebene Detailaufnahmen, sie zeigen die Oberflächenbeschaffenheit. Im Zusammenspiel mit dem Sound mutet das rötlich in der Sonne glänzende Erdgemisch beinahe wie eine Mikroskopie an. Diese Gegensätzlichkeit aus schwer klingendem Raum und sorgfältig hingeschautem Bild verkürzt sich mit jeder neuen Einstellung.
Ein Monstergerät zieht tiefe Furchen und wie ein gigantischer Regenwurm durchschneidet der schwarze Schlauch die Ebene, wenig später wird er in die Erde verpflanzt. Ganz langsam wird klar, welchem Zweck die satten und sorgfältig kadrierten Aufnahmen dienen: Fabrikation künstlich natürlichen Grüns, kurz: Sportrasen. Wie ein riesiger Teig wird er angemischt, Erde, Sand, häufen, ausrollen, abdecken und quellen lassen, zu Rouladen formen, servieren, also auslegen. Abschnittsweise perspektivieren die Bilder das Material, als wäre es antikes Gemäuer, wie Urlaubsgrüße aus Petra, Jordanien, als hätten die tausende Jahre alten Steinbauten auf dem Gelände der Rasenerzeugungsfirma ihr Lager aufgeschlagen. Manchmal geröllt es, als würde ein ganzes Gebirge erodieren. Wie die Wüstenwürmer, die wir alle immer sehen wollten, liegen die Rasenrollen mit vom Wind abgerissener Folie auf ihrem Nährboden und warten darauf, eins mit ihm zu werden.
Solche Analogien und Verquickungen von Assoziationen bestimmen Simona Obholzers Film und die Methode ist gewitzt und unterhaltsam, erzählt DIN 18035 doch die Geschichte der Herstellung einer Natur dritter Ordnung. Kein wilder Boden, keine Wiese, dafür Rasenvierecke, die wie Pizza auf die ideale Größe geradelt werden. Noch kurz vor Schluss machen sich die Plastikwürmer oberirdisch wieder breit. Eine ganz ordentliche Materialschlacht für so mickrigen Minirasen. Den filmischen Prozess zu verfolgen, staunend Kenntnis zu erlangen, wo dieser Arbeitsaufwand hinführt, ist hingegen lustig und schaurig schön.Heute säh' ich, morgen mäh' ich, übermorgen Fußballmatch. (Melanie Letschnig)
DIN 18035
2024
Österreich
13 min