Besuch im Bubenland
Als ich meinen ersten Film Szenen meiner Ehe drehte, unterrichtete ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Mit dem Handy hatte ich beispielhaft Szenen aus meinem Leben aufgenommen, um mit den Studierenden über die Verantwortung zu sprechen, die wir als Dokumentarist*innen haben, wenn wir mit der Kamera in das Leben anderer Menschen „einfallen“ und das Material in unseren Filmen benutzen. Ich wollte diese Erfahrung am eigenen Leib machen. Dabei überforderte ich mich und überschritt meine eigenen Grenzen. Gleichzeitig motivierte es mich, einen nächsten Film zu wagen.
Ich wuchs in einem Frauenhaushalt auf, ohne Vater. Männer waren mir lange Zeit ein Rätsel. In den Szenen meiner Ehe schaute ich auf meinen Mann und mich.
Mit dem Film Besuch im Bubenland wollte ich mein „Forschungsgebiet“ erweitern. Südlich der Raab, wo ich selbst einige Jahre gelebt hatte, suchte ich nach Männern, deren Familien hier über Generationen sesshaft sind.
Das Filmen war nicht nur für die Protagonisten, sondern auch für mich eine neue Herausforderung, da ich als Fremde in ihren Alltag eingedrungen bin. Ich wollte ihre Art zu leben kennenlernen, mit ihnen in ein persönliches Gespräch kommen und in ein Verhältnis setzen. Meine Eingangsfrage war einfach: Wie geht es dir?
Ich filmte wieder mit dem Handy, ohne Team – Augenblicke, in denen das Denken, das Nachdenken sichtbar wird. – Vielleicht ist es das, wonach ich suche. (Katrin Schlösser)
Wir fahren durchs südliche Burgenland, auf Feldforschungsreise mit der Filmemacherin, um das Denken und Sprechen von Männern zu erkunden. Katrin Schlösser hat hier eine Zeitlang gelebt, sich verheiratet und den schmerzhaft-schönen Film Szenen meiner Ehe gedreht. In diesen Jahren ist ihr so einiges aufgefallen, an den Männern hier und an deren Selbstbildern, die sie zu einer mentalen Landkarte des Bubenlandes verdichtet.
Schlösser trifft vor Ort Männer – Bekannte und solche, mit denen sie zuvor nie ein Wort gewechselt hat. Sie sucht das Gespräch, doch so unterschiedlich diese Männer auch vom Alter und Milieu her sind, maulfaul scheinen sie allesamt, zumindest auf den ersten Blick. Ein „Das ist halt so“ oder „Passt schon“ sind die häufigsten Redewendungen, die alle Gesprächspartner im Repertoire führen. Damit lassen sich tieferschürfende Überlegungen zum Scheitern, zum Daseinsschmerz abwürgen, aber die Besucherin lässt nicht locker. Mit viel Witz, Neugier und, ganz wesentlich, spürbarer Grundsympathie entringt sie ihren „Buben“ vermutlich nie Ausgesprochenes, ohne ihnen das Gefühl des Überrumpelt-Seins zu geben. Darin ähnelt Katrin Schlösser Ruth Beckermann, die in Mutzenbacher Männerwesen zum Sprechen bringt, ohne sie vorzuführen. Wozu auch?
Der offene Blick der Fremden erleichtert den Zugang, wo andere bloß wegwollen. Schlösser sieht auch die Schönheiten dieses speziellen Landstrichs, filmt gerne im Licht der Abendsonne, widmet dem Rindvieh berückende Szenen und ahnt, dass Nutztiere wie Nelly, Glocke oder Henriette häufig emotionale Leerstellen füllen. Wenn der Verlustschmerz einmal zu groß war, bekommt das Nachfolgetier einfach keinen Namen mehr. Das ist auch ein Weg: pragmatisch halt. Ein Lebensprinzip mit Ablaufdatum. Wer weiß, ob irgendwann einmal der ganze Abenteuerspielplatz Bubenland ausgedient hat. That’ll be the day. (Regina Schlagnitweit)
Besuch im Bubenland
2024
Österreich
92 min