Mâna care taie
Um während der Pandemie Zeit mit ihrer in Rumänien lebenden Mutter verbringen zu können, meldet sich die in Wien lebende Künstlerin Alexandra Tatar im Herbst 2020 mit ihr – und unzähligen anderen Arbeitsmigrant*innen aus Osteuropa – als Erntehelferin auf einem österreichischen Weingut. Die auf dieser Erfahrung fußende Videoarbeit Mâna care taie ist Tatars künstlerische Reflexion der eigenen Situiertheiten und der Versuch, die imperialistischen Machtstrukturen innerhalb Europas sichtbar zu machen. Dies gelingt nicht etwa durch die Repräsentation körperlicher Arbeit, sondern durch die Demontage kolonialer Projektionen. In einer vielschichtigen und multiperspektivischen essayistischen Collage von Videomaterial, Handyaufnahmen, Fotoabzügen, aufgezeichneten Gesprächen, Soundscapes und einem scharfsinnigen Voice-over in Muttersprache unterzieht Tatar das hegemoniale Image österreichischer Weinkultur einer Revision. Sie verleiht den ländlich-romantisierenden Landschaftsbildern Risse, bringt sie in Bewegung oder hinter Schichten aus Wein und Schmutz zum Verschwinden, um verborgene Bedeutungszusammenhänge hervortreten zu lassen. Neben der ausgestellten Monotonie eines endlos sich erstreckenden Arbeitsplatzes lässt sich das Privatleben der Frauen in nur einer statischen Einstellung komprimieren. Lebensmittelpunkt ist das raumfüllende King-Size-Bett, auf dem sie ihre Suppe essen, während sie ihre aktuelle Lebensrealität verhandeln: Überstunden, fehlende Infrastruktur, Sparmaßnahmen, defekte Waschmaschinen, kalte Duschen und den richtigen Zeitpunkt, um nach dem Lohn zu fragen – prekäre Arbeits- und Existenzbedingungen, mit denen die Künstlerin scheinbar besser umzugehen weiß als die Mutter.
Statt Idylle offenbaren die in Reihen kultivierten Rebstöcke und sich stoisch drehende Rotoren von Windrädern einen durch Ausbeutung nutzbar gemachten Naturraum. Kein Mensch weit und breit, nur Maschinen, die kontinuierlich Bewegungsenergie umwandeln – Arbeit, die sich nicht in diese Landschaftsbilder eingeschrieben hat, wohl aber in die Körper. Das zermürbend-gleichförmige mechanische Quietschen einer Schere auf der Tonspur erzählt davon. (Michelle Koch)
Mâna care taie
2022
Rumänien, Österreich
32 min
Dokumentarfilm, Essay, Experimental
Rumänisch, Englisch
Englisch