Wir sind alle Kanaken
In seinem Essay-Film Wir sind alle Kanaken veranschaulicht Kervin Saint Pere die vielschichtigen Bedeutungsebenen des Begriffes Kanake, die ihm durch den europäischen Kolonialismus gewaltvoll zugeschrieben worden sind. Die Verwendung des Wortes ist eng mit rassistischen Praktiken europäischer Kolonialisierung im Globalen Süden verknüpft und dient bis heute zur Legitimierung von Gewalt. Diese kolonialen Praktiken nimmt sich Saint Pere vor, denn durch Bilder, nichtwissenschaftliche Mythen und „Theorien“ wird der als Kanake bezeichnete Mensch dehumanisiert, degradiert und als der Andere und Fremde markiert.
Aus den historischen Postkarten und Fotografien der Kolonien, welche im Film auftauchen, werden genau die Menschen, die zum Objekt gemacht werden, ausgeschnitten und überlagern geisterhaft filmisches Archiv-Material europäischer Expeditionsreisen. Die erschaffenen Schablonen verdichten den filmischen Blick, lupenhaft, wie ein zweites Kameraauge auf den kolonialen eigenen Blick. Was die Betrachter*innen im Film nicht mehr sehen, sind Bilder von Menschen, die auf „Szenen der Gewalt“ reduziert werden, sondern jene, die diese Kategorisierungen und Abwertungen vorgenommen haben, nämlich: die Europäer*innen. Saint Pere schafft durch diese Akzentsetzung eine Umkehrung; die Europäer*innen, die in heroisch anmutenden Posen als Beobachtende auftauchen, werden zum kritisch hinterfragten Objekt. Die Wiederholung des Satzes „Wie in den Denkmustern der europäischen Kolonien“ im Voice-Over verdeutlicht präzise, dass die gegenwärtigen Bedeutungen des Begriffs „Kanake“ als Gastarbeitende, Geflüchtete und sogenannte Nicht-Integrierte immer noch mit kolonialen und rassistischen Bildern verknüpft sind. Das Wort dient in der Vergangenheit und Gegenwart dazu, durch Kategorisierungen Gewalt zu legitimieren, ungerechte Ordnung zu gewährleisten und Herrschaftsstrukturen und Diskriminierungen aufrecht zu erhalten. (Cana Bilir-Meier)
Archivaufnahmen »Neuguinea Papua« von Adele Kraft (Österreichisches Filmmuseum) und Archivmaterial aus dem Weltmuseum Wien und dem MARKK Hamburg
Wir sind alle Kanaken
2021
Österreich, Deutschland
22 min 20 sek