occhiolino
Exzess des mikroskopischen Sehens. Das mag als Leitgedanke hinter den Bildern von occhiolino, Michaela Grills und Sophie Trudeaus abschließendem Teil ihrer fünfteiligen Found-Footage-Reihe, gestanden haben. Oder besser: hinter dem angeeigneten Material aus einem Wissenschaftsfilm der 1920er-Jahre, das hier zu einem betörenden Bild-Ton-Geflecht verdichtet wird. Aus dem Dunkeln heraus vermeint man eines riesigen Auges gewahr zu werden, während ein harmonisch-minimalistischer Synthie-Puls den Takt vorgibt. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem scheinbar zwinkernden Auge um stark vergrößerte Ansichten einer Zellteilung, was der Magie der hier aufbereiteten „entoptischen“ Phänomene aber keinen Abbruch tut. Die Pseudo-Pupille stellt sich – im übertragenen Sinn – als behelfsmäßiges Gefäß für allerlei zellulare, ja molekulare Strukturen dar, deren Flüchtigkeit auf der Soundebene von wohltemperierten Streicherakkorden zusammengehalten wird. Kurz beginnt sich ein wabenartiges Gespinst zu verfestigen, das sogleich wieder von einem rasanten Staccato-Feuer fortgerissen wird. Der Prozess intensiviert sich weiter, wobei sich zur Illusion des Immer-größer-Werdens der gleichzeitige Anschein eines immer tieferen Eindringens in die Materie gesellt. Horizontale Bildspaltung und anschließende Rekalibrierung unterstreichen die innere Dynamik dieses visuellen Tiefgangs – des Eintauchens in den sezierenden Blick. Und während musikalisch im letzten Drittel ein bestrickender Beat alles in seinen Bann zu ziehen und sukzessive zu verlangsamen beginnt, sehen wir die herzhaft pochende und in sich wabernde Zellmasse allmählich zur Ruhe kommen. Ein scheinbar „kleines Auge“ (occhiolino), in der sich darin abbildenden Mikrooptik jedoch ganz groß – und in Grills und Trudeaus Bearbeitung mit einer immensen Sogkraft ausgestattet, deren Wirkung sich das eigene Sehen nur schwer entziehen kann. (Christian Höller)
occhiolino
2022
Österreich, Kanada
11 min