Augusts Orte
„Es ist Ende August. Die Luft ist träge. Und es ist heiß.“ Die letzten drei Sätze im Off-Kommentar zu Valerie Pelets filmischem Reisejournal Augusts Orte fassen eigentlich ganz gut zusammen, was einen bei der Betrachtung erwartet: Italienische Impressionen zur Zeit von Ferragosto, überfüllte Badestrände, untätige Menschen „auf der Suche nach einer neuen Hautfarbe“ in von Hitze gezeichnetem Super-16; dazwischen, recht beiläufig, als würde es sich in der Kamera von selbst schneiden, Alltagsimpressionen aus österreichischen Grenzregionen wie dem Waldviertel. Die Front einer Fleischerei, eine Postkarte mit Dankesworten, letzte Würstel mit extra viel Senf, Nachtfalter.
Die (westliche) Welt, wie sie sich hier präsentiert, könnte eine sein, die es sich verdientermaßen leistet, einmal im Jahr etwas weniger Energie und Kraft zu vergeuden. Mitunter möchte man die Ruhemomente und Reglosigkeiten jedoch mit einer großen allgemeinen Gleichgültigkeit verwechseln, speziell wenn in der Tonspur von Flüchtlingen und Abschiebungen die Rede ist. „Der Mann meiner Schwester wartet seit August 2020 auf Humanitäres Bleiberecht in Österreich“, schreibt Valerie Pelet in einem kurzen Text über Augusts Orte: „Er hat durch unglückliche Umstände seinen Aufenthaltstitel im gesamtem Schengen-Raum verloren. Dieses Ereignis hat mich dazu veranlasst, genau jene Orte, die er durchquert hat – bis an die österreichische Grenze abzufahren und mir über das Geschehene Gedanken zu machen. Trotz der mir revoltierenden Gefühle über die sich wiederholenden Ungerechtigkeiten in diesen Landschaften, habe ich versucht die aufgespürten Erinnerungen mit Distanz und ohne Ressentiment nachzuerzählen.“
Was bleibt, ist also eine Melancholie, die scheinbar beiläufig Bilder und Notizen zusammenträgt, aus denen sich so etwas wie Kritik formulieren ließe. Wie schrieb Walter Benjamin gegen Ende seines Lebens und seiner Flucht, kurz vor seinem Selbstmord, 1942 in Port Bou, zum „Begriff der Geschichte“: „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.“ Valerie Pelets Film ist ein nachdrücklicher, zu mehrfacher Sichtung einladender Beleg für diese These. (Claus Philipp)
Die Hitze drückt und die Geschichte. Im europäischen Urlaubsmonat fährt die Filmemacherin von Marokko nach Österreich, sie folgt der Fluchtroute ihres Schwagers. Zwischen Reisefreiheit und Bewegungslosigkeit, aktuellen Urlaubsbildern und gefährlichen Grenzüberquerungen, historischen und persönlichen Grenzgeschichten begibt sich der Film an die Orte des Geschehens. Eine surreale wie reale Gleichzeitigkeit in einem nicht für alle grenzenlosen Europa. (Duisburger Filmwoche, 2021)
Augusts Orte
2021
Österreich
42 min