Rote Wueste
Stefan Némeths Rote Wueste inszeniert, was man als produktive Diskrepanz bezeichnen könnte. Die Ausgangsmaterie bildet der gleichnamige Musiktrack seiner Band Innode, 2021 auf der Platte SYN veröffentlicht. Inspiriert vom elektronischen Soundtrack zu Michelangelo Antonionis Il deserto rosso (1964) entwirft Rote Wueste ein unheilvoll anschwellendes, von einem versierten Rhythmusarsenal durchsetztes Soundtableau – immer feinteiliger werdend und so die Spannung des „Jetzt!“ (und des „Jetzt nicht!“) auf den Punkt bringend. Löchrig zerschossene Gegenwart auf der Basis spätmodernistischer Entfremdungsfantasien.
An diese Klangdramatik sind Bilder einer (2006 erfolgten) Reise nach bzw. durch Brasilia gekoppelt. Hatte Németh die damals aufgenommenen Super8-Rollen, sichtlich im Bann der 1960 Wirklichkeit gewordenen Architekturutopie, lange Zeit in der Schublade gehortet, so stellen sie nunmehr das kongenial-adverse Pendant zum Track Rote Wueste dar. Dabei folgt der Schnitt der grobkörnigen Zelluloidbilder der digitalen Kantigkeit der Musik. Zu einem langsam anhebenden Filterrauschen sieht man zunächst Schwarzweißaufnahmen von Autobahnausfahrten und anderen Mobilitätsmonstern; dann – von abrupter Perkussion punktiert und einem schleichenden Beat getragen – Kamerafahrten an endlosen Wohnblock- und Baumreihen vorbei. Nach einem (wiederholt eingesetzten) blanken Filmkaderintermezzo folgt der zweite Akt: Fassaden, Pools, Fensterfronten inkl. bizarrer Spiegelungen, Betonkonstrukte, allesamt in Farbe, rhythmisiert zu einem kunstvoll schillernden Formenballett. Schließlich der kontrapunktisch gesetzte dritte Akt, wieder in Schwarzweiß – Arbeiter auf Baustellen und erneut Fahrten durch gebautes Umland –, bis gleichsam erlösende Farbtotalen den Weg aus diesem verloren scheinenden Geschichtszauber weisen. Die Musik war immer schon im Jetzt, daran geknüpfte Utopien bilden ihr unabdingbares Anderes.
(Christian Höller)
Rote Wueste
2021
Österreich
6 min