2551.01
Zwischen Chaplins erstem Langfilm und Pfaffenbichlers sehr freier Nachempfindung jenes Werks liegt ein ganzes Jahrhundert. The Kid, 1920 gedreht, ist eine Geschichte aus den Zonen des Lumpenproletariats, eine tragikomisch-moralische Erzählung von Kindesweglegung und Polizeigewalt. 2551.01 ist all das auch – und eben doch 100 Jahre, allerlei Kinogeschichtsbrüche und zahllose Kriege von Chaplins bittersüßer Patchwork-Comedy entfernt. Einen „dystopischen Slapstickfilm“ nennt der Regisseur selbst seine giftige Genre-Mischung.
Aus Chaplin-Material hat Pfaffenbichler bereits zwei seiner Kurzfilme geformt, und die „dämonische Leinwand“ ist seine Passion. Dem Stummfilm-Verwandlungskünstler Lon Chaney hat er einen Film geschenkt, und seinen Boris-Karloff-Tribut nannte er 2013 A Masque of Madness. In 2551.01 sind nun deutlich mehr Wahnmasken zu sehen als nur eine. Die künstlichen Clowns-, Sack- und Albtraumfratzen, die das Laien-Ensemble trägt, definieren diese Low-Budget-Groteske, die in den Korridoren einer Kanalisation, in Bunkern und Kellerlöchern spielt, ohne Fenster, ohne Tageslicht, ohne Ausweg. Aus Chaplins Tramp wird ein Mann in Affenmaske, der ein alleingelassenes Kind bei sich aufnimmt und in der Gewalt- und Zombiewelt, die er bewohnt, zögernd einen Platz für seinen Schützling sucht.
Eine Reihe genuin obszöner Bilder sorgen für erhöhte Pulsfrequenz: Bei einem trümmerdekadenten Candlelight-Dinner werden Ekelspeisen serviert, in einem Horrorkindergarten irritierende Rituale vollzogen, und auf den Wegen des Helden durch die subterrane Hölle wird man zum Zeugen Abu-Ghraib-artiger Folter. Neben den vielfältigen Stummfilmtexturen nutzt Pfaffenbichler auch Splatter-, Sitcom- und Exploitation-Elemente – und eine äußerst eklektische Musiktonspur. So führt dieses Stationendrama in die Peripherien des Punk- und Schocklustspiels, in Territorien, die im Austro-Kino praktisch nicht existent sind. Es ist schon deshalb sehr zu hoffen, dass die Orgy of the Damned, die am Ende als Episode 2 dieser bösen Fabel angekündigt wird, demnächst Wirklichkeit wird. (Stefan Grissemann)
2551.01
2021
Österreich
65 min