TEAL
Ein Spiegel ist selten nur ein Spiegel, wenn es ums Kino geht. Als eines der in diesem Medium allgegenwärtigsten und ausdrucksstärksten symbolischen Objekte haben Spiegel lange etwas dargestellt, das größer ist als sie selbst: und zwar – wenn in sie hineingeschaut wurde – eine sonst verinnerlichte oder gar abstoßende Facette der Psyche eines Menschen. Björn Kämmerer löst diesen metaphorischen Putz mit TEAL vom Spiegel ab und stellt in diesem Vorgang zugleich etwas von dessen praktischem Zauber wieder her.
Wie es für die Arbeiten des in Wien lebenden Filmemachers inzwischen charakteristisch ist, tut er dies auf eine hintergründig komplexe, sogar widersprüchliche Weise: Stumm und mit 25 Bildern pro Sekunde drehend richtet Kämmerer sein Objektiv auf eine Serie von Spiegelplatten in freiem Fall. Deren glattgewalzte, petrolfarbene Rückseiten sind zur Kamera gerichtet, während sie von oben nach unten durchs Bild stürzen. Vor einem komplett schwarzen Hintergrund fallen die Spiegel in rhythmischen Intervallen und prallen in Anfällen synkopierter Zerstörung hart auf eine Oberfläche auf. Während die einzelnen Platten bersten, springen reflektierende Splitter nach oben und erfassen in Andeutungen das umgebende Studiolicht, bevor sie geschwind in die präzise Montage des Films eingearbeitet werden. Wie in Kämmerers früherer Arbeit NAVIGATOR erzeugt die modulierte Empfindung von Tiefe und Vertikalität, die diese kontrastierenden Elemente produzieren, innerhalb des 35mm-Bildes optische Muster und Illusionen. Diese lösen Raumkoordinaten langsam auf, während sie dem vorfilmischen Ereignis erlauben, die Wahrnehmung der Zuschauer von Moment zu Moment zu formen und wieder neu zu formen. TEAL ist tautologische Betrachtung von Raum, Verfügbarkeit und filmischer Ikonografie (und als solche auch eine buchstäbliche, sich wiederholende object lesson), er re-kalibriert den Geist durch subtilen Einsatz und Irritation vertrauter Formen. (Jordan Cronk)
Übersetzung: Isabella Reicher
Die erste Idee war es einen Spiegel parallel zur Bildebene zu filmen, ohne die Kamera auf dem belichtenden Material zu zeigen. Die Funktion des eigentlichen Objektes sollte wie auch in einigen meiner anderen Filme aufgelöst werden und mit der Position des Betrachters hinter dem Spiegel auch dessen Blick blockiert sein. Die Brüche und die dadurch anstehenden Formen tauchen nur kurz im Schwarz auf und lassen vieles nur erahnen, da ich das Vergehen der Zeit nicht mit einer höheren Bildrate manipulieren wollte. Durch die flexible Justierung der Bruchkante, war es beim Dreh möglich das Objekt mit diversen Unterschieden zerschellen zu lassen, bzw. auch mit der Bestimmung der Fallhöhe dessen Geschwindigkeit zu beeinflussen. Meist aber erweckt das Bild den Eindruck, als würde der Spiegel an der unteren Bildkante brechen. TEAL ist auch ein Versuch den theatralischen Moment und die Aufladung, welche beim Bruch eines Spiegels im Film erzeugt werden, zu neutralisieren und die Intensität mit Rhythmus, Wiederholung und Abstraktion zu erzeugen. (B.K.)
Kader fallen vertikal durchs Bildfenster, um an dessen unterem Rand zu zersplittern. Wieder und wieder, in stetem Rhythmus mit je unterschiedlichen Bruchlinien beim Aufprall, je neuen Formen der Zerstörung und des Verschwindens. Kleinste Partikel des gläsernen Materials – Sternschnuppen –schießen kurz hoch in ein unendliches Schwarz, bevor alles restlos in den Orkus des Off hinausfällt und das Fenster leer zurückbleibt, sauber für dennächsten Fall, den nächsten Bruch.
Es ist Licht und es ist Material, das unaufhörlich fällt und unaufhaltsam bricht. Es sind die blinden Rückseiten von Spiegeln, trübe blaugrün (die titelgebende Farbe ist im Englischen nach dem Gefieder der Krickente benannt), von denen beim Auseinanderbrechen und Durcheinanderwirbeln einzelne Fragmente ihr Licht reflektierendes Gesicht kurz der Kamera zuwenden.
Es ist Kino. Fünfunddreißig Millimeter. Archaisch. Vier zu drei. (Erklären Siedas Ihren Enkeln!) Stumm aber lärmend. Live-action. Handgemacht. Brutal subtil.
Es ist Buñuels Rasiermesser, das durch ein Kuhauge fährt, Derens Zerschlagung des eigenen Spiegelbildes, es ist Kubelkas „Arnulf Rainer“, dessen als Partitur an die Wand genagelte Streifen, oder Krens Schattenrissein „3/60 Bäume im Herbst“ oder auch dessen durchlöchertes, aus Löchern konstruiertes Weltbild in „31/75 Asyl“ oder... Und – rückwärts gedacht – ist es die niedergerissene, magisch sich wieder aufrichtende Mauer der Lumières aus dem vorletzten Jahrhundert, wenn wir uns Kämmerer, den Wiener Formalfilmer, vorstellen, wie er einst, wenn der Strom ausgegangen sein wird, im Licht einer flackernden Funsel an seiner mechanischen Projektor-Kamera kurbelt. Vor und zurück. Hinunter und hinauf. Bild und Bruch.
(Thomas Korschil, Bolivien, November 2019)
TEAL
2020
Österreich
5 min