animistica
Am Anfang von Nikki Schusters animistica erwacht man in einem unruhigen Traum und findet sich zu einem sonderbaren Ungeziefer verwandelt. Insektengleich wühlt der Filmblick in einem dunklen, mürben Untergrund – als würde er den Käfern angehören, die in der berühmten Eröffnungssequenz von David Lynchs Blue Velvet hinter idyllischer Rasenfassade rumoren. Doch es ist kein bloßes Erdreich, das hier durchmessen wird: Organische Texturen aller Art fließen am Zuschauer vorbei und ineinander, unzählige Großaufnahmen mexikanischer Flora und Fauna verschmelzen per Morphing-Effekt zu einem pulsierenden Bildgewebe, es entsteht der Eindruck einer instinktiven Krabbelei durch ein wundersames Fantasie-Biotop. Dessen Grundprinzip ist, wie in der Natur selbst, unablässige Veränderung, das Wechselspiel von Wachstum und Verfall: Erde wird zu Rinde wird zu Knochen wird zu Federn wird zu Sand und Stein und Pelz und Fell.
Selbstverständlich hat diese mutierende Welt auch ihren eigenen Klang, der nicht minder vielgestaltig daherkommt. Es knistert und knackst, raschelt und scharrt, rattert und zirpt – eine regelrechte Musique concrète et organique. Genau wie auf der Bildebene, wo ab und zu kuriose synthetische Einsprengsel keimen, ist man sich bei dieser Geräuschsymphonie nie sicher, was an ihr "künstlich" ist und was "natürlich". Das einzige, was man ihr zweifelsfrei attestieren kann, ist Unheimlichkeit – zu der im Übrigen der ganze Film neigt. Streifzüge über verwesende Tierkadaver, wuchernde Spinnweben, dumpfes Dröhnen wie von hungrigen Fliegenschwärmen: animistica wurlt dezidiert im Grenzgebiet des Horrorkinos. Und wie dessen spannendste Vertreter taucht Schuster mutig in die Finsternis, ergötzt sich am Ekel, preist die Pracht der Fäulnis: Ein Kaleidoskop der Ökologie in all ihrer schrecklichen Schönheit. (Andrey Arnold)
ANIMISTICA - Jury, Filmbewertungsstelle Wiesbaden 2020 (Preis (Auszeichnung))
Ein unheimlicher Film, ein Film über Tod und Zersetzung, vor allem aber ein Film, der durch seine makroskopische Perspektive wie ein Irrgarten wirkt. Für ANIMISTICA hat Nikki Schuster in Mexiko extreme Nahaufnahmen von Texturen, Gewächsen sowie Tierkadavern gemacht, und diese dann mit verschiedenen Techniken wie Morphing, Stop-Trick oder 2D-Animation so gestaltet, dass sie eine phantastische kleine Welt zeigt, in der aus Verwesung neues Leben entsteht, und so die Grenzen zwischen dem Leblosen und dem Lebenden sich auflösen. Man erkennt zwar einzelne Ausgangsmaterialien wie Wurzeln, Fell, Knochen und Schimmel, aber eine genaue Verortung wird durch die ständigen Bewegungen und Metamorphosen unmöglich gemacht. Und diese Verunsicherung wird durch das sehr kalkuliert eingesetzte und nuancierte Sounddesign verstärkt.
ANIMISTICA zeig einen Mikrokosmos, in dem die Natur ständig zerstört und dabei Neues schafft. Eine der Stärken der Filmkunst ist es, dass sie die Zuschauer in neue, so noch nie gesehene Welten entführen kann. Und dies gelingt Nikki Schuster hier, indem sie mit einer bemerkenswerten künstlerischen Originalität ihrer materialistischen Weltsicht vom immerwährenden Vergehen und Entstehen eine Form gegeben hat. Bei diesem Film wird der Ekel zu einer ästhetischen Qualität.
Jury, Filmbewertungsstelle Wiesbaden 2020
Animistica
2018
Österreich, Mexiko, Deutschland
7 min