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Ein Film ohne Antworten, aber mit so vielen Fragen wie Sterne am Himmel stehen: Der österreichische Strukturalist Johann Lurf hat sich für sein Langfilmdebüt ein gewagtes, unendlich expandierendes Sujet ausgesucht: die stars des Kinos. Allerdings sind es keine Filmstars, sondern die Sterne am Nachthimmel, lichte Nadelstiche in der Dunkelheit, die er aus Filmen exzerpiert hat – beginnend mit Anbruch des Kinos bis herauf in unsere Gegenwart –, im Rahmen eines Projekts, das auch selbst jährlich erweitert werden soll. Diese Sternbeispiele, die ihrem filmischen Zusammenhang mit unversehrtem Ton entnommen wurden – ob Ambient-Summen, mächtige Orchester-Scores, penible Erklärungen oder träumerische Spekulationen – sind Magiefelder einer mit Möglichkeiten gesprenkelten Dunkelheit. Lurfs jazzige Montage gleicht ruhige Konzentriertheit und nervöse Bildschwankungen aus, sie basiert auf dem methodischen Zugang, Dauer, Bild- und Tonspur jedes Ausschnitts zu übernehmen. Das Publikum wird so auf eine Reise durch jene Tonalitäten von Bedrohung und Verheißung geschickt, die der Kosmos aussendet. Weil es sich um ein Sujet handelt, welches sich schwierig bis unmöglich akkurat filmisch aufzeichnen lässt, begegnen wir dabei wieder und wieder den verschiedenen Interpretationen der Sternennacht durch matte artists (Kulissenmaler) und Spezialeffektzauberer, mal ganz ruhig, mal in rasender Bewegung durch den Raum oder in ihn hinein, auf weißglühende Nebel, ferne zwinkernde Punkte und dazwischen die schwarze Leere starrend.
Indem wir eine Geschichte des Kinos in seiner Fixierung auf den und Flucht in den Weltraum durchmessen, stellen wir fest, was Zuschauer_innen zu ihrer Zeit da oben sahen. Zugleich spiegelt sich darin unsere eigene Verwunderung: Ehrfurcht, Schrecken, Hoffnung, arrogantes Selbstvertrauen, melancholisches Sehnen und blanke, ehrfürchtige Stille. Dies sind die raren Momente, in denen ein Kinopublikum mit dem Rücken zum Projektor tatsächlich Licht gegenübersitzt, das auf es zurück fällt: Unsere Augen sind die Leinwände für das Kino der stars. (Daniel Kasman)
Das Lurf’sche Kino: Blickirritationen, optische und akustische Verfremdungen, faszinierende, seltene Filme. Bisher. Doch mittlerweile scheint der Planet Erde zu klein für des Filmemachers Sehnsucht und er greift nach den Sternen. Acht Jahre arbeitete Lurf an diesem Werk, dem Panorama des Himmels, gesehen aus der Perspektive eines Filmliebhabers. Filmausschnitte, Sprachfetzen, Sternenballett, choreografiert von einer Göttin, die niemand kennt. Alles chronologisch, von der Stummfilmzeit bis heute. Nicht weniger als 90 Minuten träumen, 13 Sprachen lernen, sich fürchten und freuen – ein ganz außergewöhnlicher Abenteuerfilm, allein schön, zu zweit noch schöner. (Viennale 2017 Katalog)
Leinwand frei für Sternenanbeter/innen! Johann Lurf sammelte aus nicht weniger als 553 Filmen alle "reinen" Sternenhimmel und montierte sie chronologisch gereiht aneinander – von 1905 quer durchs All bis 2017. Das erstaunliche Resultat ist eine ungetrübte Searched-Footage-Doku mit verblüffendem Soundtrack – ein grandioser Sternenatlas der Filmgeschichte.
(Diagonale 2018, mz)
Viennale 2017: ★ von Johann Lurf, von Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 24.10.2017 (Kritik)
Neben der visuellen Sensation, gibt ★ aber auch Auskunft über filmgeschichtliche Konventionen. Der Zusammenschnitt der Filme aus über einhundert Jahren lässt Rückschlüsse über die filmische Gestaltungsweise von Sternenhimmeln im Laufe der Jahrzehnte zu. Verschiedene Bewegungen kommen regelmäßig vor: das Eintauchen in den Sternenhimmel beziehungsweise dessen Gegenbewegung – das langsame Zurückziehen; später das langsame Abkippen vom Sternenhimmel in Richtung Horizontlinie (das im Film immer zu Ende geht, bevor die Oberfläche erreicht ist); der Blick in den Nachthimmel, wo Sternschnuppen (oder in einer parodistischen Variation, Satelliten) vorüberziehen; rasante Fahrten durch den Weltraum in Überlichtgeschwindigkeit, in der die Sterne ihre Erscheinung verändern. Auffällig ist auch die zunehmende, wissenschaftliche Präzision der Sternendarstellung. Während anfangs noch oft willkürliche Lichtpunkte vor dunklem Hintergrund zu sehen sind, werden in späteren Filmen öfter korrekte Darstellungen des Sternenhimmels ausgewählt. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass erst die technischen Rahmenbedingungen geschaffen werden mussten, um überhaupt in den Nachthimmel oder in Planetarien filmen zu können (das war in größerem Rahmen erst nach dem Zweiten Weltkrieg möglich), später erleichterte die Möglichkeit der Simulation des Himmels mittels Computertechnik die korrekte Darstellung von Himmelskörpern. Größer gedacht legt der Film auch inszenatorische Konventionen offen, die nicht direkt mit der Darstellung des Sternenhimmels zu tun haben: Der rhetorische Stil der Erzählerstimmen, die sehr oft zu hören sind, verändert sich, ebenso die Musikuntermalung und die Dialogregie – auch die Weiterentwicklung der Tricktechnik kann am Beispiel der Sternenhimmel nachvollzogen werden.
Im Gesamtwerks Lurf, der bisher in erster Linie mit streng komponierten und rhythmischen ausgefeilten Bild-/Tonkompositionen auf sich aufmerksam machte, ist dieses 90-minütige filmhistorische Hasardstück zugleich Ausreißer, als auch logische Weiterentwicklung. Ausreißer wegen der Länge des Films, dem Produktionszeitraum von mehreren Jahren und der Form der Montage, Weiterentwicklung, weil es sich bei ★, wie bei seinen meisten anderen Filmen, um eine experimentelle Untersuchung handelt, in der die Erfahrungsweise bestimmter Bild-/Tonfolgen getestet wird. Wenn in Twelve Tales Told noch in kleinerem Rahmen die Regeln der Selbstinszenierung von Filmstudios in Frage gestellt wurden, so setzt ★ dieses Interesse Lurfs mit seiner Betrachtung filmischer Sternenhimmel fort. Lurf hat angekündigt sein Sternenprojekt noch weiter fortzusetzen, um irgendwann alle Sternenhimmel der Filmgeschichte in einem Mammutfilm zu vereinen. Ein kaum zu erreichendes Ziel (abgesehen davon, dass sicherlich bereits etliche filmische Sternenhimmel für immer verloren sind), aber eine sympathische Utopie.
(Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 24.10.2017)
Viennale in October 2017
"Einmal die gesamte Filmgeschichte, bitte!", Pramberger, Uncut, 25.10.2017 "Einmal die gesamte Filmgeschichte, bitte!", Pramberger, Uncut, 25.10.2017 (Kritik)
Die Geräuschkulisse ist dabei äußerst kurios, da die originalen Soundtracks und Dialoge der Filme verwendet wurden und diese oftmals nur bruchstückhaft wiedergegeben werden, da Lurf Credits und Filmtitel rausschnitt, um wirklich nur den Himmel abzubilden. Lange Zeit hat er daran gedacht den Ton ganz wegzulassen, da er vom Bild ablenkt und das All ja im Grunde stumm ist. Andererseits bietet gerade die Geräuschkulisse eine wichtige Basis zur Analyse der Entwicklung der Filme im Laufe der Jahrzehnte und deshalb hört man jetzt im Film Lieder, Stimmen und Geräusche, die vom Wandel der Zeit genauso geprägt sind wie das Bild.
Der Regisseur will mit dieser Arbeit den Verlauf der Filmgeschichte abbilden und das mit einem Urbild der Filmgeschichte, nämlich dem Blick ins All. Entstanden ist diese Idee, als Lurf in einem Seminar von Harun Farocki den Film „Stromboli“ mit Ingrid Bergmann gesehen hat und über die schlechten Aufnahmen der Sterne erstaunt war. Von da an suchte er in sämtlichen Archiven der Welt nach Filmen die den Weltraum abbildeten, um eine Chronologie dieses Raumes in der Filmgeschichte abbilden zu können.
Und da die Filmgeschichte noch nicht zu Ende ist, ist auch dieser Film noch nicht zu Ende. Es handelt sich um ein Work-in-Progress, das der Filmemacher in den kommenden Jahren erweitern will. Vielen im Publikum waren die 90 Minuten zwar schon genug, Lurf meinte aber, dass dem Publikum auch zwei Stunden und mehr zuzutrauen wären. Die Arbeit des Filmemachers sich durch unzählige Archive zu wühlen, um an das Material zu gelangen ist auf jeden Fall zu honorieren, aber die Länge des Films ist schon sehr ermüdend und anstrengend und ist sicherlich nichts für einen gemütlichen Filmabend. Das Museum würde sich meiner Meinung nach für dieses Filmprojekt aber sehr gut anbieten.
(Pramberger, Uncut, 25.10.2017)
Rotterdam experimental: auch 2018 war ein reicher Jahrgang // Johann Lurfs »★« erobert den Kino-Sternenhimmel (Kritik)
Sternen-Kino
Ebenfalls ein Montage- und Konzeptfilm, jedoch völlig überwältigend, ist der neue Film des österreichischen Experimentalfilmemachers Johann Lurf, der in Rotterdam auf der größten Leinwand des Pathé-Kinos aufgeführt wurde. Mit seinem ersten Langfilm, der den rein graphischen Titel »★« trägt, stellte Lurf ein Werk vor, das von seiner Anlage her tatsächlich unendlich sein könnte – sofern man sich die Filmgeschichte inklusive der films to come als etwas prinzipiell Unabschließbares vorstellen kann: »★« ist Work-in-progress, kann jederzeit ergänzt und ausgebaut werden und also von Jahr zu Jahr länger sein.
Lurf reiht aneinander: So wäre vielleicht ganz unpoetisch seine Arbeitsweise zu beschreiben. Und zwar unzählige Foundfootages, die den Sternenhimmel zeigen, in chronologischer Folge ihrer Entstehungszeit – der Abspann, der alle Filme aufzählt, ist fast fünf Minuten lang. Es ist ein gründlicher Blick in die Filmgeschichte jener anderen Sternchen und Stars, die hier wohl zum ersten Mal gebührlich Aufmerksamkeit bekommen. Der Film ist zugleich auch eine Geschichte der Special Effects, die immer ausgebuffter werden, je mehr die Zeit voranschreitet. Die Geschichte der Sterne fängt realitv simpel an, mit gezeichneten Sternensymbolen (Edwin S. Porter, Three American Beauties, 1906), und einer Sternen-Kulisse, aus der wie Engel zwischen Wolken Gesichter hervorblicken (Gaston Velle, Voyage Autour d´une Étoile, 1906), geht dann aber schnell über zu einem »wissenschaftlichen«, objektiven Sternenuniversum und ersten räumlich wirkenden Fahrten in den Sternenhimmel hinein (Martin Rikli, Unendlicher Weltenraum, 1936). Auffällig ist, wie im Zuge des technischen Fortschritts die Vorstellung des Weltraums immer »bunter« wird – wo keine kleinen glühenden Sonnen mehr genügen, da muss es ein raumerzeugender vielfarbiger Sternennebel oder atemberaubende 3D-Effekte wie beim Vorspann zu den Star-Wars-Filmen sein.
Im Grunde genommen ändert sich aber nicht viel. Die Vorstellung, wie der Sternenhimmel oder das Universum filmisch darzustellen seien, bleibt im Durchgang der Jahrzehnte relativ konstant. Die Sterne funkeln, viele befinden sich in langsamer Bewegung – eine der Kuriositäten, auf die Lurf im Gespräch aufmerksam macht: das ist, als würde man in die Zeit hineinsehen können, denn tatsächlich bewegen sich die Sterne am Himmel, nur ist dies für das menschliche Auge nicht erfassbar. Durch so manchen Sternenhimmel (Kino-Früh- wie -Spätzeit) saust ein Komet oder Satellit, oft kann man das universell bekannte Sternbild, den Großen Wagen erkennen, seltener zeigt sich Orion.
Die Sternenhimmel sind ganz und gar der Phantasie entsprungen, betont Lurf, die Filmgeschichte habe auf astronomische Exaktheit verzichtet, und stattdessen repräsentative Himmel geschaffen. Auf sie konzentriert er sich, niemals sind Horizonte oder sonstige Rahmungen des Bildes zu sehen. Seinen Eingangsschnitt setzt er, wenn das letzte Stück Horizont verschwunden ist und sich der blanke Sternenhimmel zeigt, ebenso verfährt er für den Endschnitt. Es ist ein freier Blick aufs All, der Vergleichbarkeit zwischen den vielen Filmschnipseln schafft und Voraussetzung zu einer beschleunigten Zeitreise durch die Filmgeschichte der Sterne wird.
Diese ist auch eine Geschichte über die gesellschaftlichen Vorzeichen, die propagandistischen Untertöne, die Gewiss- und Unsicherheiten der Menschen. In den Film-Himmeln lasse sich die »Kolonialisierung des Weltraums« ablesen, so Lurf, und auch die mediale Kolonialisierung unserer Sinne durch den Special Effect und die immersive Bild-und-Sound-Erfahrung. Über die Tonspur, die Lurf parallel zu den strengen Bildausschnitten ohne Rücksicht auf Bedeutungseinheiten, also rein strukturell cuttet, offenbart sich so auch die jeweilige Ideologie der Zeit. »Was rings im Weltenraume leuchtet, sind alles Sonnen. Ungezählte Millionen Sonnen«, raunt Martin Rikli in Unendlicher Weltenraum (1936) in der Zeit des Nationalsozialismus. Meist steht der Space für die menschliche Erfahrung kosmischer Einsamkeit, im Kalten Krieg wird er zum Schauplatz des Wettrüstens mit den Mitteln der Propaganda. Wiederkehrend sind über die Jahrzehnte hinweg träumerische oder futuristische Musik, oder die Disziplin des Mansplaining: Onkelhafte, wissenschaftlich tuende oder gottgleiche, auktoriale Erzähler erklären einem aus dem Off den Weltraum: »This is the universe. Big, isn´t it? Thousands of Suns, millions of stars, separated by immense distances and by thin floating clouds of gaz.« Manchmal auch in der Vater-Kind- oder Mann-Frau-Konstellation, wobei der Mann erklärt und den Frauen und Kindern das Staunen überlassen wird.
Das alles teilt sich ganz und gar unmittelbar mit, der Film fächert sich in der Montage seiner Filmschnipsel selbsterklärend auf. Anders als andere historischen Kompilationsfilme kommentiert Lurf so auch nicht, nicht durch die Auswahl, die er nicht selektiv, sondern konzeptuell trifft, allenfalls noch über die Montage bei reichhaltigen Jahrgängen, die eine kompositorische Anordnung zulassen. Und schon gar nicht gibt es hier eine Filmerklärung aus dem Off, was sich so mancher filmhistorisch arbeitende Regisseur nicht verkneifen kann, um sein Wissen auszustellen. Das Ergebnis, »★«, ist ein umso erhellenderes Werk, in dem man selbst die Entdeckungsreise durch das weite Universum der Filmgeschichte vollzogen hat. Ganz mit den Mitteln des Kinos.
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Offenlegung: Die Autorin ist Leiterin des UNDERDOX Filmfestivals.
gesamter Text:http://www.artechock.de/film/text/special/2018/rotterdam/02_08_rotterdam.html
Astrologen, Träumer & Verliebte – Einige (Gegen-)Gedanken zu Johann Lurfs ★, von Patrick Holzapfel, blog.filmmuseum.at, 05.03.2018 (Artikel)
Die Regel, das ist einmal, dass ★ Sterne zeigt. Genauer gesagt Bilder von Sternen aus der gesamten Filmgeschichte: Analoge und digitale Sterne, einzelne Sterne, Sternengruppen, Sternenbilder, gemalte Sterne, farbige Sterne, schwarz-weiße Sterne, echte Sterne, computergenerierte Sterne, sich bewegende Sterne, runde Sterne, eckige Sterne, Pixelsterne, gebastelte Sterne, vermenschlichte Sterne, stumme Sterne, laute Sterne, Sterne in allen Formaten. „Ungezählte Millionen Sonnen“, wie es im Film heißt. Dabei darf nichts den filmischen Blick auf diese Sterne trüben. Kein Objekt oder Körper darf sich im Vordergrund bewegen, der Blick auf die Himmelskörper soll unverstellt sein. Bild und Ton folgen der Logik des Found bzw. Search Footage. Das heißt es wird zum chronologisch nächsten Ausschnitt geschnitten, wenn eine der Regeln gebrochen wird. Der Ton bleibt dabei unberührt. Abgeschlossen ist ★ konsequenterweise nie. Denn zum einen kommen nach und nach neue Sterne in den Kinohimmel, zum anderen kann die Suche in der Filmgeschichte kaum je beendet sein.
★ ist ein paradoxer Film, über den man vieles sagen könnte, ohne ihn je zu sehen. Wenn man ihn aber gesehen hat, kann man vieles sagen, was man gar nicht in ihm gesehen hat. Zum Beispiel könnte man nachdenken über all die Augen, die sich vor und nach den Filmausschnitten gen Nachthimmel wenden. Also den fehlenden Gegenschuss von ★, an den man auch deshalb denkt, weil man als Zuseher selbst den ganzen Film über damit beschäftigt ist, zu den Sternen zu schauen. Zunächst sei bemerkt, dass sich Lurf in Zusammenarbeit mit Laura Wagner bereits selbst mit einem möglichen Gegenbild befasst hat, nämlich jenem, das es geben würde, wenn man von den Sternen zurück auf die Erde blickt. Mit Filmstills und Zitaten wird der Blick von Lurf und Wagner in MAK Center for Art and Architecture in Los Angeles auf den blauen Planeten gefasst. Ein entscheidendes Zitat dieser Arbeit stammt aus Danny Boyles The Beach (2000): “You realise that, in the eternity of space, there´s probably a planet out there, right, just like this one, where another you is photographing back towards us. I mean, essentially, you are photographing yourself in a parallel universe.“ Der Blick zu den Sternen, ein Blick auf uns selbst?
In den filmischen Werken von Lurf geht es immer auch um den Ort, von dem aus man blickt. Dadurch wird ein bisweilen politisches Verhältnis zwischen dem betrachteten Objekt und der Kamera offenbar. Zum Beispiel in EMBARGO (2014), in dem Lurf die scheinbare Unsichtbarkeit der österreichischen Waffenindustrie mit einem filmischen Modus der Sichtbarkeit hintergeht. Er blickt auf das, was eigentlich verborgen bleiben will und mittels Überwachungssystemen eigentlich auf uns blickt. Ein Gegenschuss mit allen Konnotationen also. Auch Picture Perfect Pyramid (2013) handelt von der wechselhaften Wahrnehmung eines Ortes studiert aus vielen Blickwinkeln. Jene Blickwinkel sind es im konkreten wie im übertragenen Sinn und bei Lurf wird immer wieder deutlich, dass wer blickt nicht so wichtig ist, wie wohin und wie man von wo aus blickt. Ganz konkret mit dem Schuss/Gegenschuss-Prinzip, das in Peter Tscherkasskys Shot – Countershot (1987) im österreichischen Kino bereits zu einem ironischen Endpunkt geführt wurde, arbeitet Lurf in seinem Capital Cuba (2015). Dort verhält sich das Auseinanderklaffen von Schuss und Gegenschuss auch analog zu jenem von Idee und Realität, Bild und Erfahrung. Zudem bleibt der Eindruck einer Irritation, die nicht wie im klassischen Filmschnitt üblich dem emotional geleiteten Prinzip von Aktion und Reaktion folgt, sondern jenem einer Transformation, die nie ganz greifbar wird und somit keine Übersicht über Blickachsen schafft, sondern eher ein Mischmasch an Gleichzeitigkeit und Verschiebungen. In ★ aber: kein Gegenschuss, kein Gegenbild, nur die Sammelwut eines ikonischen und doch ganz konkreten Bildes in all seinen Variationen.
Der Blick zu den Sternen kennt nicht nur im Kino viele Bedeutungen. Man denkt an jene, die zu den Sternen schauen könnten: Astrologen, Träumer und Verliebte. So wie zum Beispiel in William Wylers grandiosem, lange übersehenem A House Divided (1932), als die junge Ruth Evans und der Sohn ihres monströsen Ehemannes einen der seltenen harmonischen Augenblicke des Films am nächtlichen Meeresufer teilen und zu den Sternen blickend den berühmten englischen Kinderreim von sich geben:
Star light, star bright,
The first star I see tonight;
I wish I may, I wish I might,
Have the wish I wish tonight.
Sterne werden mit einer gewissen Romantik assoziiert. Wünsche, Sehnsüchte, Wege in die Zukunft, weit entfernte Welten. Sie erscheinen in der Nacht. Ihre Existenz war für Menschen so lange ein Rätsel, das man sich vorstellen kann wie Rituale und Glaubensformen aufgrund von Sternen entstanden. Oder mit David Bowie: „There´s a starman waiting in the sky. He´d like to come and meet us. But he thinks he´d blow our minds.“ Natürlich finden sie sich auch in vielen SciFi-Filmen. Dort sind sie oft ein deutlich konkreteres Ziel. Der leuchtende Punkt in der Ferne kann erreicht werden. Man lebt mit und auf den Sternen.
Sterne sind äußerst symbolträchtig. Nicht nur im Kino. Das liegt daran, dass wir in ihnen immer etwas wahrnehmen, was eigentlich schon war. Die zeitliche Verschiebung des Lichts, die aus der Gegenwart, in der man einen Stern erblickt, womöglich die Re-Präsentation eines längst erloschenen Sterns erscheinen lässt, erinnert letztlich an das Kino. Denn auch dort gibt es ein Licht, das uns etwas ganz gegenwärtig zeigt, was eigentlich schon geschehen ist. Lurfs ★ stellt die Frage nach der Wahrnehmung dieser Sterne und ganz bewusst sieht man dabei nicht die Wahrnehmenden. Denn letztlich ist man das selbst.
Ein Film, den man im Liegen sehen könnte oder gar sollte? Ein wenig erinnert das alles an einen Ausspruch von Jean-Luc Godard, der sagte, dass man im Kino nach oben blicken würde und beim Fernsehen nach unten. Ein Star, das ist auch etwas, nach dem man greift und das ist ein ganzes System in Hollywood. Es basiert auch auf Illusionen und dem nahe am Schuss/Gegenschuss-Verfahren angelegten Wechselspiel aus Identifikation und Unerreichbarkeit. In den Stars sollen Zuseher oft sich selbst sehen und das Besondere in sich selbst. Ein Funkeln in der Nacht des Kinos.
Es ist nur eine Vermutung, aber man könnte glauben, dass Sterne im Kino selten von stehenden Menschen betrachtet werden, eher von liegenden oder sitzenden. Womöglich würde der Gegenschuss aber gar keine Menschen zeigen, sondern nur nächtliche Städte, eine beginnende Nacht, die vom Sternenhimmel in friedlicher Gleichgültigkeit beobachtet wird. Die vielen kurzen Ausschnitte von Sternen in ★ verraten letztlich, dass selbst dieses kontemplative Bild vom narrativen Diktat des industriellen Kinos meist in Handlungen eingebettet werden. Kein Blick geht zu ihnen. Statt Gegenbild sind sie ein Zwischenbild. Erst in Lurfs Film werden die Sterne selbst zum Star und damit auch zur Frage. Die Frage für den Astrologen im Kino mit ★ ist eine andere wie für den Verliebten und wieder eine andere für den Filmwissenschaftler. Vereinigt werden letztlich alle in der Gegenwärtigkeit dieser Lichtpunkte auf der Kinoleinwand.
Vielleicht ist das Kino selbst ein Gegenbild, das wäre nicht zu viel verlangt. Es erlaubt zum Beispiel, die Sterne zu betrachten. Dann wären die Sterne bereits der Gegenschuss.
(Patrick Holzapfel, blog.filmmuseum.at, 05.03.2018)
Ein Film, der immer länger wird, die Presse, 06.03.2018 (Artikel)
Mit jedem Schnitt-Beat von Johann Lurfs Film „Capital Cuba“ ändert sich – ganz buchstäblich – sein Flow, die Stärke und Ausrichtung jener Laufbildkraft, die die Sinne auf ein Tempo, einen Wahrnehmungsrhythmus eicht. Wie ein Croupier, der zwei Kartendecks riffelt, schichtet Lurf zwei längere Einstellungen der Küste Havannas ineinander und befeuert so ein hypnotisches Tauziehen gegenläufiger audiovisueller Strömungen. Irgendwann kommt auf der einen Seite ein moderner Frachter mit der Aufschrift „Capital“ zum Vorschein, auf der anderen eine Fabriksruine, auf deren bröckliger Fassade das Wort „Machina“ prangt.
Eine Anspielung auf den Widerstreit zwischen Kommunismus und Kapitalismus, alter und neuer Ökonomie? Schon möglich – doch der Film zieht einen unabhängig davon in den Bann. Die Arbeiten Lurfs sind meist Konzeptkonstrukt und sinnliches Erfahrungsangebot in einem, und genau das macht ihn zu einem der interessantesten Vertreter der jüngeren Kinoavantgarde Österreichs.
Unheimliches aus Vösendorf
Das Strukturprinzip seines Schaffens? Vielleicht Bewegung und Gegenbewegung, am wuchtigsten verdeutlicht in „Vertigo Rush“: Darin artet der Hitchcock´sche Vertigo-Effekt, ein schwindelerregender Kameratrick, zu einer rabiaten Leinwandpenetration aus – bis nur noch farbige Schlieren zu sehen sind. Vielleicht ist es auch einfach das Stilmittel des Bruchs, sei es in der Raumzeit eines Films oder der Perspektive, wie im strukturalistischen Experiment „Picture Perfect Pyramid“: Aus 24 Blickwinkeln gefilmt, aber stets im Zentrum, erscheint die Pyramide Vösendorf als unheimliche Zikkurat in einer Landschaft der Banalität.
Doch im Grunde (und zum Glück) lässt sich Lurfs Œuvre nicht auf einen Nenner bringen. Seine Zugänge ändert er ebenso oft wie das Format, werkelt sowohl analog als auch digital, manchmal auch in 3-D. Nur die formale Stringenz bleibt – trotz stotternder Bilder und ruckelnder Blicke – gleich. Und der Hang zur Klangmalerei. In „Twelve Tales Told“ verkoppelt die Montage Studiologo-Sequenzen Hollywoods zu einer regelrechten Symphonie kultureller Hegemonie. Und sein jüngstes Werk, schlicht mit einem Sternensymbol betitelt („★“), zeigt eine Kompilation filmhistorischer Sternenhimmel: Ein Found-Footage-Faszinosum, dass dank periodischer Erweiterung um aktuelle Clips mit jeder Vorführung expandiert wie das Universum selbst.
Zu sehen ist es im Rahmen einer Lurf-Werkschau, die vom 8. bis zum 11. März im Österreichischen Filmmuseum läuft, in Anwesenheit des Filmemachers – ergänzt von Fotos, Grafiken, einer Kurzfilm-Carte-blanche und einer Installation. (and)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)
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2017 - 2024
Österreich
128 min