Die Geträumten
Um Liebe und Hass, um richtige und falsche Worte, geht es in dem Film Die Geträumten. Im Zentrum stehen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die sich im Nachkriegswien kennengelernt haben. Deren Briefwechsel bildet die Textgrundlage.
Die dramatische, rauschhafte, aber auch unendlich traurige Liebesgeschichte zwischen Bachmann und Celan beginnt 1948, als sie 22 und er 27 Jahre alt ist, und sie endet mit dem Suizid Celans 1971 in Paris. Für Ingeborg Bachmann ist es die große Liebe ihres Lebens, und doch hört sie nie auf, in ihm den Fremden zu sehen und ein bisschen wohl auch zu fürchten: einen Juden aus Czernowitz, dessen Eltern im Holocaust umgekommen sind, während sie selbst nichts dergleichen erlebt hat. Sie liebt ihn und stößt an Grenzen, an ihre eigenen und an seine. Es geht nicht immer nett zu in diesen packenden Briefen. In einem Moment des Zweifels fragt sie: "Sind wir nur die Geträumten?"
Zwei junge Schauspieler, Anja Plaschg und Laurence Rupp, treffen sich in einem Tonstudio, um daraus zu lesen. Die dramatisch schwankenden Gefühle der Briefe – zwischen Rausch und Verlustangst, Entzücken und Erschrecken, Nähe und Fremdheit – gehen auf die Schauspieler über. Aber sie amüsieren sich auch, streiten, rauchen, reden über Tattoos und Musik. Ob die Liebe damals oder die Liebe heute, ob Inszenierung oder Dokumentation: Wo die Ebenen verschwimmen, schlägt das Herz des Films. (production note)
Was daraus entsteht, ist ein Spiel mit doppeltem Boden. Die Beziehung der beiden Briefschreibenden reflektiert sich in der Beziehung der beiden Brieflesenden: eine vergangene Emotionalität, die durch Nachwirkung und Nachfühlung wiederauflebt. Zwei Zeitebenen begegnen einander: Vergangenheit korrespondiert mit Gegenwart. Und die Briefe, deren Austausch zwischen Celan und Bachmann Tage, Wochen, Monate gebraucht hat, werden jetzt zwischen den beiden Sprechern mit E-Mail-Geschwindigkeit hin- und hertransportiert.
Die Sprecher durchleben die von ihnen gelesenen Briefe mit spröder Intensität, ohne fremde Emotionen vordergründig zu simulieren. Was man sieht, sind ihre von der dialogischen Lektüre ausgelösten eigenen Emotionen: ein Katalysatoreffekt. Nicht mehr geht es nur allein um die Briefliebe Bachmanns und Celans, sondern um ein Echo im Heute, das ihre Lektüre auslösen kann. Die beiden Sprecher im Tonstudio reagieren auf das, was sie lesen, und das, was sie hören, wie auch auf die beiden emotional miteinander ringenden Dichterpersönlichkeiten, die dahinter sichtbar werden. Aber sie reagieren auch aufeinander – mit erwartenden, herausfordernden, auch verstörten Blicken (sie) und sich entziehendem oder abweisendem Nichtblicken (er). Sie nähern sich einander an oder gehen zueinander auf Distanz. Wie bei Bachmann und Celan Nähe und Ferne auch hier, als sei dies eine Projektion. (Peter Kremski, filmbulletin Nr. 3/2016)
Die Geträumten - Eine un/mögliche Geschichte von Liebe, von Patrick Holzapfel, kino-zeit.de, 27.10.2016 (Kritik)
Die Kamera beobachtet, ja umgarnt zwei Darsteller, die diese Texte in einem Tondstudio einsprechen. Als Sprecherin von Ingeborg Bachmann agiert die als Soap&Skin bekannte Musikerin Anja Plaschg, die bereits in Stillleben von Sebastian Meise eine fragile Intimität durch jeden Blick hindurchstrahlen ließ. Ihre Stimme und ihre Offenheit gegenüber den Worten erzeugt eine derart faszinierende Präsenz, dass Ergriffenheit hier nicht zur bloßen Schau verkommt, sondern sich immer dann findet, wenn ein Zwischenraum entsteht. Das liegt auch an ihrem Partner, Laurence Rupp als Sprecher von Paul Celan, der nur auf den ersten Blick deutlich weniger intuitiv an die Sache herangeht. Für ihn ist die Sprache, das Zuhören, die Reaktion auch ein Spiel des Machtloswerdens und so drückt sich der Schmerz von Celan, der 1970 Selbstmord beging, mehr und mehr auch durch seine Gesten und Worte. Die Geträumten filmt die beiden Sprecher auch zwischen den Aufnahmen. Man geht in die Kantine, man spricht über Tattoos, man besucht eine gleichzeitig stattfindende Orchesterprobe. Es ist ein konzentrierter Prozess, der sich öffnen will und es ist einer der besten deutschsprachigen Filme über Schauspiel, die es gibt.
Durch den Bruch der Dynamik und Energie der Stimmen und sinnlich gefilmten Gesichter, die manchmal aus Raum und Zeit fallen, um einen Glauben an Liebe zu manifestieren, den es so überzeugend lange nicht gab, erreicht Beckermann zwei Dinge: Zum einen offenbart sie, dass diese Worte in all ihrer Schönheit und Brüchigkeit letztlich auch eine Liebe herbeischrieben. Es ist etwas, das es vielleicht gar nicht gab - eine Fiktion. Und daher ist das Aufbrechen derselben durch die Art und Weise, in der das Einsprechen dokumentiert wird und es zu einem Schauspielprojekt macht, eine überaus konsequente und elegante Lösung. Aber in der Fiktion, also in den Körpern, die diese herbeiführen, entwickelt sich ein Verständnis und ein Nach-Fühlen, das nicht nur einen Umgang mit Text dokumentiert, sondern letztlich auch ein Umgehen mit dem Entzücken und dem Rausch, dem Schmerz und der Unsicherheit der Gefühle.
Die Übergänge sind dabei derart fein montiert und ausgewählt, dass aus der scheinbaren Banalität des Wartens, Pausierens, Rauchens oder Herumstreunens ein Dialog mit dem Text entsteht, der wie das Tonstudio selbst zu einem Resonanzraum wird. Ein Echo ist es, das den Umgang von Beckermann mit dem Text am besten beschreibt, denn die Art, wie dieser eingelesen und auf seine Emotionalität hin durchgelebt wird, zielt auf eine Vergegenwärtigung von etwas, das sich vielleicht gar nicht darstellen lässt. Und Beckermann gelingt dieses Kunststück in einem atmenden Film, der zeigt, dass man nicht ersticken muss, um die Luft anzuhalten.
Bachmann und Celan sind moderne Liebende, die es eigentlich nicht geben konnte. Ihr Vater war bei der NSDAP, Celans Eltern kamen in einem Konzentrationslager ums Leben. Es sind Fremde in der Liebe, die bei ihnen so bald nach dem Krieg begann. Diese Fremdheit und Unvereinbarkeit ist im Film aber keine, die sich anders gestalten würde als dies bei jeder anderen Liebe auch möglich wäre. Und in diesem Ansatz liegt auch die Stärke des Films, die einen nur sehr schwer kühl lassen kann. Denn hier wird ein Dialog zwischen dem Subjektiven und Zeitlosen dokumentiert, der nichts behauptet, sondern einfach nur zulässt.
(Patrick Holzapfel, kino-zeit.de, 27.10.2016)
"Die Geträumten": Dichterliebe auf Distanz, Michael Wurmitzer, Der Standard, 16.12.2016 (Kritik)
Wien – Es ist der wohl ungewöhnlichste Liebesfilm des Jahres, den Ruth Beckermann mit Die Geträumten gedreht hat. Es war aber auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die zwei der bedeutendsten Dichter des vergangenen Jahrhunderts verband.
Nur einen Monat hatten Ingeborg Bachmann und Paul Celan einander tatsächlich gehabt: im Mai 1948. Sie war gerade zum Philosophiestudium nach Wien gekommen, er auf der Durchreise nach Paris. Und eigentlich stand die Geschichte zwischen ihnen, der Tochter eines überzeugten Nationalsozialisten und dem Sohn von Eltern, die in einem von Hitlers Konzentrationslagern den Tod gefunden hatten. Doch der Briefwechsel, den dieser Frühsommer nach sich zog, währte 20 Jahre. Fast ihr übriges kurzes Leben.
2008 wurde er als Herzzeit bei Suhrkamp publiziert. Beinah ebenso lange war die Verbindung ein Geheimnis. Im Studio 3 des Wiener Funkhauses ließ Beckermann diese Texte einlesen. Zwar hat dort neue Aufnahmetechnik Einzug gehalten, zwischen holzgetäfelten Wänden ist es aber ein dennoch zeitvergessener Ort.
Sprache und Blicke
Zeitverloren, das beschreibt auch das Kunststück, das Beckermann gelungen ist. Zwei schöne junge Menschen wollte sie als Darsteller. Zwar ist Anja Plaschgs Frisur gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Von ihnen beiden – neben der als Soap&Skin bekannten Musikerin spielt Burgtheater-Darsteller Laurence Rupp – leben die Szenen. Die Dichterworte der Jungen von damals, sie hallen in den Gesichtern der heute Jungen wider. Nur Sprache und Blicke.
Einmal kommen Plaschg gar die Tränen. Rupp zeigt mehr (berufsbedingte) Distanz. Das passt auch zum Beziehungsgefüge. Denn in die Liebensbekundungen der beiden mischen sich vor allem vonseiten Celans zunehmend Misstöne. Die räumliche Trennung entfremdet sie voneinander, sie bandeln mit anderen an, und er, der bereits bekannt ist, schilt ihren Ehrgeiz. "Ich weiß, dass du mich verabscheust und mir zutiefst misstraust", antwortet Bachmann ihm einmal und kommt auch weiterhin nicht von ihm los.
Dann wieder besprechen sie die (Un-)Möglichkeit, einander zu treffen, und mahnt er, wie vorsichtig sie beim Bügeln im Hotel vorgehen müsse. Alltag eben, so weit möglich. Denn manchmal vergehen Monate zwischen zwei Briefen.
Verschnaufpausen
Den ersten Plan, auch an den Lebensschauplätzen Bachmanns und Celans in Paris, Rom, Zürich zu drehen, hat Beckermann bald verworfen. Stattdessen streifen Rupp und Plaschg in den Einlesepausen durch das Gebäude. Sie wuzeln Zigaretten, Plaschg spielt Klavier, zeigt ihre Tattoos, eine Kussmund-Couch steht im Aufnahmestudio, da legt sie sich hin.
Das braucht es zum einen als Verschnaufpausen, so dicht sind diese Briefe. Jedes Wort scheint bedacht. Ihnen sei "nichts herausgerutscht", kommentiert Plaschg einmal. Gerade deshalb auch ergänzen die spontanen Zwischenspiele die Lesepassagen aber andererseits famos. Sie sind so unbeschwert, dass man ermisst, wofür das Briefeschreiben lohnt.
"Alles muss man zählen können, für alles gibt es eine Form", klagt Plaschg bei einem weiteren Streifzug durchs Funkhaus über Unverständnis für ihre Komponierarbeit. Auch zwischen Bachmann und Celan wird es gewiss solche Gespräche gegeben haben. Ob es für einen Briefwechsel bisher eine cineastische Form gab? Beckermann hat eine behutsame, bestechende gefunden: Sie spielt ihn nicht nach, sondern reflektiert ihn.
(Michael Wurmitzer, Der Standard, 16.12.2016)
Die Geträumten – Kritik, von Johannes Bluth, critic.de, 25.10.2016 (Artikel)
Ingeborg Bachmann. Paul Celan. Anja Plaschg. Laurence Rupp. Vier Personen, ein Dialog – ein Wagnis. Ein bekanntes Stück Literatur zu verfilmen ist eine Sache – es wie die Regisseurin Ruth Beckermann nur vorlesen zu lassen und dabei das Vorlesen zu filmen, eine andere. In Die Geträumten sehen wir über 90 Minuten fast ausschließlich die beiden Schauspieler Plaschg und Rupp, die den berühmten Briefwechsel zwischen den Lyrikern Bachmann und Celan vortragen, in einem Wiener Rundfunkstudio – einem nüchternen Ort, einem Raum, der gefüllt werden will. Die Mikrofone sind dabei die zwei Pole, von denen die beiden angezogen und wieder abgestoßen werden. Auf dickem, bräunlichem A4-Papier sind die Texte gedruckt, wie von Karteikarten intoniert das Duo die amouröse Korrespondenz, die sich über fast zwei Jahrzehnte erstreckt.
Ein riesiger Konjunktiv
Bachmann und Celan, das ist die Geschichte einer nicht nur unerfüllten, sondern geradezu unmöglichen Liebe. Erst über 40 Jahre nach beider Tod erschien der Briefwechsel zum ersten Mal in gedruckter Form unter dem Titel Herzzeit. Die gegenseitige Zuneigung war lange ein Geheimnis. Celan war seit 1952 verheirateter Familienvater, Bachmann unter anderem mit Max Frisch liiert. Und beide verbindet ein früher, rätselhafter Tod: Celans Leiche wird 1970 in der Seine gefunden, Bachmann stirbt drei Jahre später nach einem Brandunfall in ihrer Wohnung. Jeder führte stets sein eigenes Leben, und aus dem Briefwechsel spricht nichts als ein riesiger Konjunktiv: Was alles hätte sein können! Wenn. Waren es lediglich die unglücklichen Umstände, die ihnen im Weg standen, oder war der geistig-sinnliche Austausch auf Papier der einzig mögliche, richtige, zwischen zwei zutiefst verunsicherten Menschen?
Professionelle Distanz
Die Regisseurin Ruth Beckermann sucht keine Antworten, sondern schafft der unbezweifelbaren Liebe zwischen Celan und Bachmann einen Raum. Es entsteht ein – teilweise unheimlich – dichter Film, auch daran gemessen, was wir einzig sehen: Plaschg und Rupp im Studio, redend, zögernd, denkend. Die Geträumten ist ein Film, der sich vor allem im Kopf des Zuschauers abspielt und entfaltet. Während die Worte Celans und Bachmanns, die sich an der Frage nach dem Wesen und den Bedingungen der Liebe abarbeiten, noch nachhallen, diskutieren Rupp und Plaschg zärtlich, aber bestimmt über das, was sie sich vorlesen. Sie geben der Liebesgeschichte ein Antlitz und wahren zugleich professionelle Distanz, bleiben vermittelnde Medien.
Temporäre Sprechverbote
Zwischendurch liegen die beiden ermattet am Boden: „It’s a men’s world“ läuft auf dem MP3-Player – temporäres Sprechverbot. Die kurzen Szenen beim Rauchen oder in der Kantine des ORF sind vor allem Atempausen. Sie lockern den intensiven Dialog zum einen auf und machen zum anderen bewusst, dass wir uns mit Bachmann und Celan auch stets in einem intellektuellen Diskurs bewegen. Denn beide verarbeiten auch ihr künstlerisches Schaffen, treffen in der berühmten Gruppe 47 aufeinander, sprechen über ihre Erfolge, werfen sie sich gegenseitig vor, trauen einander nicht über den Weg. Dazu kommt Celans Herkunft als rumänischer Jude, dessen Eltern im KZ ermordet wurden. Dieser Schmerz bleibt für die Österreicherin Bachmann unfassbar, ein fehlendes Gefühl, das zu Vorwürfen, schließlich zu Missgunst führt.
Suche nach absolutem Verständnis
Insofern spiegelt der fühlbare theatrale Abstand zwischen Plaschg und Rupp im Studio auch die gegenseitigen emotionalen Vorbehalte der beiden Liebenden wider. Doch gegenüber dem Einzelnen kennt die Kamera keine Distanz. Es ist vor allem dieser Kunstgriff Beckermanns, durch den Die Geträumten seine kraftvolle Wirkung entfaltet: immer wieder Nahaufnahmen von Plaschg und Rupp, minimale Bewegungen der Mienen und Körper, Ein- und Ausatmen; die beiden Augenpaare brennen sich förmlich ein und tragen das eine Gefühl, das über allem steht: Sehnsucht. Die Suche nach absolutem Verstandenwerden, die Unmöglichkeit, eins zu werden, der unheilbare Wunsch, vergessen zu können. Mit einfachsten Mitteln bringt Beckermann diese Seelenleben auf die Leinwand. Die Geträumten ist weder verfilmtes Hörspiel noch Literaturverfilmung, sondern ein Film von bemerkenswertem Eigensinn.
(Johannes Bluth, critic.de, 25.10.2016)
Literarische Reflektion im Quadrat, von Lucy von Trier, uncut, 12.03.2016 (Kritik)
Das Verhältnis der beiden Schriftsteller, die die Briefe schrieben, begann Ende der vierziger Jahre - eine schwierige Zeit für den Juden Paul Celan, der gerade aus Bukarest nach Wien flüchtete und kurze Zeit später nach Paris übersiedelte. Der Hintergrund dieser Zeit trägt zur Dramatik und Intensität der Geschichte bei. Geschrieben wird aus weiter Entfernung, es wird erinnert, was da mal war zwischen den beiden, und Erwartungen werden aufgebaut, Sehnsüchte ausgelöst, Beteuerungen der Liebe ausgesprochen.
Auch die musikalische Ader, eine der Gemeinsamkeiten, die Anja Plaschg mit Ingeborg Bachmann teilt, spielt eine Rolle. Im Funkhaus findet eine Konzertprobe statt und die beiden Sprecher sind die heimlichen Zuhörer. Der Aufbau der Musik wird diskutiert und über das eigene Musikmachen in einer entstehenden Basis des Vertrauens erzählt. Wer Anja Plaschg als die Musikerin Soap & Skin kennt, erhofft sich bestimmt auch musikalische Beiträge ihrerseits, was tatsächlich, sparsam aber gezielt, vorkommt.
Das Funkhaus als Drehort stellt sich als eine fruchtbare Kapsel heraus. Der innere Raum der dort entsteht lässt einen mit den Charakteren vertraut werden. Er lenkt den Fokus hauptsächlich auf die Inhalte und Worte, was diesen mehr Bedeutung zukommen lässt. Im Publikumsgespräch kam auch heraus, das dieses Radiostudio schon seit 1938 existiert, und auch die alten Wandgemälde, die schöne Zwischenbilder unter den Texten erzeugen, schon darin waren. Die Regisseurin Ruth Beckermann hat entschieden, dem Raum nur wenige Requisiten zuzufügen, und ihn in seiner Schlichtheit dastehen zu lassen.
„Für die Wahrheit der Welt hat nur Verstand, wer ihn verliert.“, realisiert Laurence.
„An der Grenze zum Verstand verlieren find ich’s am schönsten!“ entgegnet Anja. Solch tiefsinnige Gedanken der beiden inspirieren einen selbst zum philosophieren und gemeinsam mit den Kostproben der bemerkenswerten Poesie von Celan und Bachmann wird dieser Film zu einem Literaturfilm wie man seiner Art selten begegnet.
Die Geträumten, von Jasmin Drescher, filmrezension.de, 20.02.2016 (Artikel)
Ruth Beckermanns Versuchsanordnung ist so bestechend einfach, dass man sich zu Anfang fragt, ob das auszureichen vermag: Zwei junge Menschen im Funkhaus Wien, vor großen Mikrophonen, allein mit einer Auswahl von Texten, die in einer Zeitspanne von fast zwei Jahrzehnten entstanden sind: Briefe, Postkarten, Widmungen, Telegramme, geschrieben zwischen 1948 und 1961. Ein letzter Brief Celans datiert auf das Jahr 1967. Sie illustrieren das Bemühen der beiden Künstler und Liebenden um Verstehen, den Kampf um Nähe, deren Verlust, die phasenweise Entfremdung – die Wiederannäherung. Schnell zeigt sich, dass es gerade diese reduzierte Art der Präsentation ist, die die Wirkung der Texte zur vollen Entfaltung bringt. Wie Laurence Rupps Gesicht vor Freude über einen angekündigten Besuch erstrahlt. Wie Anja Plaschgs Augen sich plötzlich verdunkeln, weil das Gesagte zu tief empfunden wird. Wie sie sanft, aber bestimmt, die Aufnahme unterbricht: "Jetzt Schluss, bitte."
Sowohl Rupp als auch Plaschg gehen mit großer Empathie in diese intime Korrespondenz hinein, erforschen die Nuance jeder Empfindung, loten vorsichtig die Beziehungen aus, die die Briefe konstituieren. Beziehungen, ja, denn es ist nicht nur eine: Natürlich geht es um die zart aufkeimende, dann immer diffiziler sich gestaltende und mitunter brüchig werdende Liebe zwischen Bachmann und Celan – doch stets gleichermaßen präsent ist die Liebe zur Literatur, das beharrliche Bemühen um das Wort, die Sprache, der als Gaunersprache misstraut werden muss. Und die doch, oft schon aufgrund der räumlichen Distanz, das einzige Instrument, die einzige Möglichkeit ist, einander nahe zu kommen, zu verstehen und verstanden zu werden.
Die Geträumten In den Pausen sitzen Plaschg und Rupp auf einer Treppenstufe, rauchen eine Selbstgedrehte. Wie sehr sie das eben Gesprochene beschäftigt, lässt sich oft eher an beiläufig wirkenden Gesten, an flüchtigen mimischen Ausdrücken, an dem, was ungesagt bleibt, ablesen. So weit weg die Zeit sein mag, in der der Postbote noch zweimal am Tag, morgens und nachmittags, kam, so aktuell, so zeitlos sind die Empfindungen, mit denen sich die beiden Interpreten auseinanderzusetzen haben: die Ungeduld im Warten auf eine Antwort. Die Frustration, immer noch ohne Antwort zu sein. Der Groll, weil sich in der Antwort nicht das Erwünschte findet.
"Schade, dass sie den Brief nicht abgeschickt hat, die Inge", bringt Rupp einmal sein Unbehagen zum Ausdruck, dass Bachmann in einem Fall nicht auf Artikulation und Konfrontation bestanden hat. "Die Rolle der Klagenden ist ihr über den Kopf gewachsen", rechtfertigt Plaschg die Verweigerung der Fortsetzung der Kommunikation. Sie argumentieren, fragen sich, wie sie selbst gehandelt hätten, zweifeln und rütteln am Geschehenen. Wie beide Partei ergreifen, erscheint wie ein natürlicher Effekt, den die transformative Kraft der Sprache hervorbringt.
"Die Geträumten" ist ein kluges Arrangement: Auf der einen Ebene sind Bachmanns und Celans Emotionen durch Stimme, Mimik und Körpersprache auf spannungsvolle Weise präsent; auf der zweiten Ebene erfährt diese Unmittelbarkeit eine Erweiterung in der Reflektion von Schauspieler und Musikerin über das gerade Gesagte. Die Reflektion wiederum ist Anlass für einen subtilen Wandel der beiden. Worin er genau bestehen mag, lässt sich lediglich erahnen. Ein Film, von dem am meisten profitiert, wer sich vorbehaltlos auf ihn einlässt. Danach möchte man wieder Briefe schreiben. Und selbst welche bekommen. Zweimal am Tag.
Beckermann: "Ein Film muss atmen", von Magdalena Mayer, Die Presse, 28.10.2016 (Artikel)
ls vor einigen Jahren der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan unter dem Titel "Herzzeit" als Buch herauskam, wurde klar: Die Liebesgeschichte zwischen den beiden deutschsprachigen Literaten war nicht nur intensiv, sondern oftmals auch un glücklich und höchst dramatisch. Letztendlich war es ihnen nicht möglich, als Paar zusammen zu sein. "Aber was ist eine unmögliche Liebe? Die Liebe hat viele Gesichter, und nicht jede muss zu einer Ehe führen. Der Wunsch, mit jemandem jeden Tag zu frühstücken, ist etwas anderes, als es dann auch tatsächlich zu tun!", sinniert die Filmemacherin Ruth Beckermann über die verschiedenen Arten zu lieben. Bachmanns und Celans Verhältnis sei auf jeden Fall eine mögliche Art gewesen: "Sie waren beide sehr komplizierte Menschen, und es war ihnen wohl von Anfang an klar, dass sie nicht miteinander leben werden." Der Ausgangspunkt des Verhältnisses ist Wien, 1948: Die beiden begegnen einander und verlieben sich. Schon nach wenigen Wochen trennen sie sich wieder, als Celan nach Paris geht, doch beginnen sie einen Briefwechsel, der rund zwanzig Jahre anhält. Einmal schreiben sie öfter, einmal seltener, ihre Sätze zeugen von Hochs und Tiefs, von Nähe und Missverständnissen, auch pragmatische Belange des Schriftstellerlebens verhandeln sie. Der letzte Brief ist mit 1967 datiert, 1970 begeht Celan Selbstmord, Bachmann stirbt drei Jahre später.
Beckermann, die viel liest, hat an diesen Briefen großen Gefallen gefunden. Die Idee, sie zu verfilmen, reifte, als sie die Literaturwissenschaftlerin Ina Hartwig kennenlernte. Zusammen arbeiteten sie ein Jahr lang an einem Drehbuch. "Die Geträumten" heißt der Film, der nach dieser Vorlage unter Beckermanns Regie entstanden ist. Der Titel ist den Briefen entlehnt: "Herzzeit, es stehn die Geträumten für die Mitternachtsziffer", schreibt Celan im Gedicht "Köln, Am Hof", das er 1957 an Bachmann schickt, als zwischen ihnen erneut eine kurze Affäre aufflammt. Bachmann, die an der Vertrautheit zweifelt, auch weil Celan inzwischen mit einer anderen verheiratet ist, antwortet: "Aber sind wir nur die Geträumten?"
Zeitlos. In der Tat muten viele Passagen der Briefe wie ein nicht erfüllter Traum an: "Sie haben sich die Liebe auch herbeigeschrieben", sagt Beckermann. Dass zwischen ihnen überhaupt eine Art der Liebe möglich war, "war schon sehr außergewöhnlich nach dem Krieg", glaubt die Filmemacherin, war doch er Jude, während ihr Vater bei der NSDAP gewesen war: "Jedes Wort bekommt noch eine zusätzliche Dramatik vor diesem Hintergrund." Insofern sei diese Nachkriegszeit-Beziehung einzigartig gewesen. Gerade weil die beiden einander immer ein wenig fremd blieben, war es für Regisseurin Beckermann aber auch eine ganz "exem plarische moderne Liebe. Weil es Teil der Moderne ist zu wissen, dass man den anderen nur zu einem gewissen Grad kennen kann." Mit dem Filmprojekt wollte sie herausfinden, wie die sehr starken Worte, die die Dichter füreinander gefunden haben, auch in der Zeit von Tinder und Co. noch wirken selbst wenn man nicht weiß, wer Bachmann und Celan waren: "Ich war davon überzeugt, dass diese Texte auch heute bei jungen Menschen etwas auslösen. Und dass es auch heute Paare gibt, die wirklich versuchen, Gefühle mit Worten auszudrücken, Gedichte zu schreiben. Auch wenn sie es anders machen, etwa in E-Mails."
Wegen dieses Interesses hat sie in ihrem Film den Fokus auf den "inneren Raum der Gefühle" gelegt, wie sie sagt. Anfänglich habe sie an Plätzen gefilmt, an denen die Literaten gelebt hatten, doch habe sie sich schnell dagegen entschieden: "Ich glaube, beim Film sind die negativen Entscheidungen oft die wichtigsten. Weil man durch Weglassungen stärker auf das fokussiert, was zentral ist." So ist der äußere Raum nun auf das ORF-Funkhaus in Wien beschränkt. Im Aufnahmestudio sprechen Musikerin Anja Plaschg, auch bekannt als Soap&Skin, und Schauspieler Laurence Rupp die Texte vor Mikrofonen ein. In Nahaufnahmen der Ge sichter zeigt die Kamera Emotionen, die dabei ausgelöst werden: "Jede Geste und jeder Blick bekommt eine Bedeutung, wenn man so ein reduziertes Kammerspiel macht", so Beckermann. Man sieht etwa Rupp mitgerissen lächeln, dann reißt Plaschgs Stimme ab, wenn die Sätze allzu pathetisch werden: "Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und alles verloren", liest sie und muss ihre Tränen unterdrücken.
Neue Formen. Ob Plaschg und Rupp die Reaktionen spielen, ist mitunter schwer zu bestimmen: Der Film wagt einen Spagat zwischen Inszenierung und Improvisation, zwischen Fiktion und Dokumentarfilm. Letzterer ist ja das eigentliche Metier Beckermanns: Seit ihrem Erstlingswerk über die Besetzung der Wiener Arena 1977 bis zu ihrem letztem Film "Those Who Go Those Who Stay" über Migrationsbewegungen hat sie sich sehr subjektiv, aber immer dokumentarisch mit für sie virulenten Themen beschäftigt. Dabei versuche sie zwar immer, neue Formen auszuprobieren, aktuell arbeitet sie an einem Kompilationsfilm über die Waldheim-Affäre. Dass sie wie bei "Die Geträumten" mit einem präzisen Drehbuch und Schauspielern ans Werk geht, war allerdings das erste Mal für sie. "Das Experiment war auch, mit Plaschg und Rupp zu vereinbaren, dass wir nicht nur das Lesen drehen, sondern auch die Pausen," erklärt sie.
Für die Lesepausen seien nur Orte festgestanden, etwa die Kantine im Funkhaus, was dort passiert, sollte offenbleiben: "Das Überraschende finde ich generell sehr wichtig, weil ein Film atmen muss." Man sieht die beiden nun etwa, wenn sie sich beim Rauchen und Gesprächen über Tatoos oder Musik annähern, oder wenn sie distanziert und schweigend durch die Studioräume streifen ganz vergleichbar mit dem Spiel von Nähe und Distanz in den Inhalten der Briefe. Diese Inhalte werden mit Absicht nur in einer dieser Pausen diskutiert, so Beckermann: "Es sollte auf keinen Fall ein germanistisches Seminar werden!" Eine Frage habe Beckermann bei diesem Projekt noch beschäftigt: Sind Leben und Kunst vereinbar? "Gerade an Bachmanns Leben hat sich gezeigt, dass es sehr schwierig ist. Heute ist es einfacher, aber es gibt auch nicht so viele Schriftstellerinnen, die in dieser Radikalität arbeiten und trotzdem ein funktionierendes Familienleben führen."
(Magadalena Mayer, Die Presse, 28.10.2016)
The Dreamed Ones (Die Getraumten): Film Review, by Stephen Dalton, Hollywood Reporter, 09.05.2016 (Artikel)
A literary love affair rising from the ruins of post-war Europe, the troubled relationship between Paul Celan and Ingeborg Bachmann was born in the shadow of the Holocaust, and arguably never quite escaped it. A Romanian-born Jewish poet, Celan lost both his parents in the Nazi genocide. Bachmann, an Austrian poet and dramatist, was the daughter of a devoted Nazi.
Working with actors for the first time, veteran Austrian documentary maker Ruth Beckermann, herself the daughter of Jewish Holocaust survivors, brings this fatal attraction to life in The Dreamed Ones. The dialogue is mostly culled from letters and poems the lovers exchanged over more than 20 years, but lightly dramatized by having two actors speaking the texts aloud in a recording studio. A handsome rising star of Viennese stage and screen, Laurence Jupp reads Celan´s words while Anna Plaschg, a severe beauty famous in Austria under her art-rocker alias Soap & Skin, does the same for Bachmann.
Screening in Toronto next week after an award-winning tour of European festivals, The Dreamed Ones will chiefly interest literary scholars, Holocaust experts and students of modern European history. The talk-heavy format could almost be a radio play, but Beckermann´s film also has a handsome visual dimension and a light crackle of sexual chemistry, largely thanks to its attractive young stars and the sensual, rich, lyrical texts they share. Connoisseurs of doomed romance will savor every angst-heavy line, ideally while wearing all-black clothes and chain-smoking high-tar cigarettes.
First meeting in Vienna in 1947, Celan and Bachmann only had a brief physical affair, but they maintained an obsessive friendship and complex literary rivalry for the rest of their lives. After Celan relocated to Paris and married the French aristocrat Gisele de Lestrange, Bachmann had a long relationship with the Swiss writer Max Frisch, moving to Zurich and Rome. But both stories ended tragically, with Celan drowning himself in the Seine in April 1970. Addicted to barbiturates, Bachmann died just six months later after a fire in her apartment caused by smoking in bed.
Across two decades, Celan and Bachmann composed around 200 letters to each other, some of which they never even posted. This dense literary archive is the raw material for The Dreamed Ones: poetic ruminations on love and language, philosophy and politics, post-war guilt and the lingering specter of anti-Semitism. Behind these lofty themes lie darker personal obsessions like unrequited love and jealousy, depression and madness: “to grasp the truth of the world one must lose one´s grip on reality.”
Beckermann initially intended to shoot The Dreamed Ones in different locations across Europe, mirroring the journeys of Celan and Bachmann. In the end, the project became a compact chamber drama filmed almost entirely inside the Funkhaus, a landmark radio station and theater in central Vienna. The emotional heart of the film is almost entirely second-hand, teased out through letters and poems. The actors add a light layer of dramatic topsoil, chatting and flirting over shared cigarettes between recording, but their chief function is to channel the voices of the long-dead lovers.
Beckermann and her cinematographer Johannes Hammel shoot the dialogue scenes in mostly long, intimate, sometimes suffocating close-ups. Rupp reacts with the unflustered ease of a seasoned actor but Plaschg radiates a rarer kind of magnetism, her voice drowsy and imploring, her sulky face quivering with emotion. At one point she even bursts into tears over Bachmann´s fate, and it looks authentic. The inclusion of her own somber piano pieces into the background scenes add to the sense of words not just being performed, but deeply felt.
Not quite a documentary, not quite an essay film, The Dreamed Ones is an unashamedly esoteric viewing experience. It could have been a dry academic exercise, but fortunately the two stars share enough passion and charisma between them to animate the anguished lives behind the words. A little more of their contemporary back stories would have been welcome, but perhaps that would have diverted Beckermann from her painstaking, quietly absorbing experiment in literary archaeology.
Die Geträumten - Ruth Beckermann, von Peter Kremsk, Filmbulletin, 25.04.2016 (Artikel)
Doch schon von Anfang an ist ihr Briefwechsel eine Kommunikation des Einander-Verfehlens. Antworten, die endlos lange brauchen oder ausbleiben, oft wohl zwar geschrieben, doch nicht abgeschickt, manchmal immerhin nachgereicht als Appendix eines anderen Briefs. Mehrfach wiederholtes Anschreiben, klagend, verzweifelnd, vorwurfsvoll – und unbeantwortet. Zwei Dichterseelen, hochsensibel und überempfindlich. Zwei Liebende, die, räumlich fern voneinander, in ihren Gefühlen leben und sie in aller Tiefe ausloten, um sie zur Literatur zu machen. Auch der Briefwechsel zwischen ihnen ist Literatur. So war das schon immer mit der Poesie. Bei Goethe war das nicht anders.
So gesehen ist Ruth Beckermanns Film Die Geträumten, der auf diesem in Buchform vorliegenden Briefwechsel basiert, eine Literaturverfilmung. Doch wie verfilmt man einen Briefwechsel? Indem man einen Roman daraus macht. Der Briefroman ist eine klassische literarische Gattung. Die Briefliebe zwischen Celan und Bachmann hat eine Gefühlsintensität, die der des jungen Werther (und der des jungen Goethe) mit seiner tragisch unerfüllten Liebe zu Lotte nicht nachsteht.
Ruth Beckermann und ihre Koautorin Ina Hartwig haben ein Jahr lang daran gearbeitet, aus dem Briefwechsel eine Textfassung für den Film zu destillieren, die weite Passagen wegstreicht, um den Blick auf das für sie Wesentliche zu fokussieren. Rund 25 Textfassungen hat es nach eigenen Angaben gegeben. Mit dieser bildhauerischen Herangehensweise im Sinn einer thematischen Verdichtung geben sie der Liebe zwischen Celan und Bachmann Kontur und der Geschichte ihrer Liebe eine erzählerische Dramaturgie. Die virtuelle Briefliebe zwischen Celan und Bachmann wird so zu einer Handlungsgrundlage mit emotionalem Spannungsbogen.
Was bleibt, ist die Frage der visuellen Gestaltung. Beckermann vermeidet bewusst die historisierende Perspektive mit Darstellern von Bachmann und Celan, Briefe schreibend in «jener» Zeit. Genauso wenig kommt eine konventionelle Dokumentationsmethode mit Rückgriff auf archivarisches Bildmaterial in Betracht. Auch die Dokumentation einer Bühnenlesung ist hier nicht gefragt. Stattdessen lässt Beckermann zwei junge Schauspieler, Anja Plaschg und Laurence Rupp, ungefähr im Alter Bachmanns und Celans bei ihrer ersten Begegnung, in einem Radiostudio des Wiener Funkhauses die Briefe lesen – mit der Möglichkeit des gegenseitigen Blickkontakts.
Was daraus entsteht, ist ein Spiel mit doppeltem Boden. Die Beziehung der beiden Briefschreibenden reflektiert sich in der Beziehung der beiden Brieflesenden: eine vergangene Emotionalität, die durch Nachwirkung und Nachfühlung wiederauflebt. Zwei Zeitebenen begegnen einander: Vergangenheit korrespondiert mit Gegenwart. Und die Briefe, deren Austausch zwischen Celan und Bachmann Tage, Wochen, Monate gebraucht hat, werden jetzt zwischen den beiden Sprechern mit E-Mail-Geschwindigkeit hin- und hertransportiert.
Die Sprecher durchleben die von ihnen gelesenen Briefe mit spröder Intensität, ohne fremde Emotionen vordergründig zu simulieren. Was man sieht, sind ihre von der dialogischen Lektüre ausgelösten eigenen Emotionen: ein Katalysatoreffekt. Nicht mehr geht es nur allein um die Briefliebe Bachmanns und Celans, sondern um ein Echo im Heute, das ihre Lektüre auslösen kann. Die beiden Sprecher im Tonstudio reagieren auf das, was sie lesen, und das, was sie hören, wie auch auf die beiden emotional miteinander ringenden Dichterpersönlichkeiten, die dahinter sichtbar werden. Aber sie reagieren auch aufeinander – mit erwartenden, herausfordernden, auch verstörten Blicken (sie) und sich entziehendem oder abweisendem Nichtblicken (er). Sie nähern sich einander an oder gehen zueinander auf Distanz. Wie bei Bachmann und Celan Nähe und Ferne auch hier, als sei dies eine Projektion.
Dahinter steht ein ausgefeiltes Kamerakonzept, das sie mit Kameramann Johannes Hammel lange und bis ins Detail vorbereitet hat – mit einer szenischen Auflösung, die alle klassischen Grössen der Einstellungsdramaturgie verwendet und für subtile Perspektivenwechsel sorgt. Am eindrücklichsten immer: die Grossaufnahmen der Gesichter, der Augen, der Blicke.
Ein verdoppelter Briefroman und eine potenziell doppelte Liebesgeschichte? Die experimentelle Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann spielt mit dem Fiktionalen. Beckermann versteht diesen Film selbst als Spielfilm. Auch die Rauchpausen der Sprecher zwischen den Tonaufnahmen (auf der Aussentreppe zum Tonstudio) sind geplant, wenn auch nicht, was Plaschg und Rupp sagen und wie sie sich verhalten. Das Leitmotiv des Rauchens soll natürlich spezielle Assoziationen an Ingeborg Bachmann wecken – dazu ein biografischer Bogenschlag am Ende des Films.
(Peter Kremsk, Filmbulletin, 25.04.2016)
Gemeinsam verloren, von Björn Hayer, NZZ, 02.11.2016 (Artikel)
«Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben!» – wie tief und unergründlich muss wohl eine Liebe gewesen sein, die an Selbstaufgabe grenzt? Einst schrieb die 1926 in Klagenfurt geborene Autorin Ingeborg Bachmann an den Dichterkollegen und Holocaustüberlebenden Paul Celan: «Für mich bist Du Wüste und Meer und alles, was Geheimnis ist.» Er wiederum beschwor in einem Brief die «Herzzeit» herauf. Was die beiden zeit ihres Lebens verband, war mehr als inspirativer Austausch unter Freunden. Es war vielleicht eine der anmutigsten und zugleich tragischsten «liaisons d´amoureux» überhaupt, dokumentiert in einer reichhaltigen Korrespondenz. Die Seelenverwandten trennte die räumliche Distanz, das bürgerliche Dasein, Celans Ehe. Bestehen konnte das Verhältnis, ja die nie zu erfüllende Sehnsucht, fast ausschliesslich im poetischen Schreiben.
Dass diese Liebe ganz Geist war und kaum eine körperliche Dimension annehmen konnte, liess den jüdischen Schriftsteller auf die Zuschreibung «Die Geträumten» kommen, welche die Regisseurin Ruth Beckermann auch als Titel für ihren sensiblen Spielfilm über das traurige Paar wählte. Er klingt nach einer anderen Welt, nach der Utopie einer unrealisierbaren Vereinigung. Den Schauspielern Anja Plaschg und Laurence Rupp, die den Briefaustausch zwischen Celan und Bachmann in einem Tonstudio aufnehmen, bleibt ebenso nur die Vorstellung. Wenn sie die Liebesbriefe einander gegenüberstehend ins Mikrofon lesen, tauchen sie wie auch der Zuschauer in das «Märchen» ein, wie Bachmann einmal die Beziehung zu ihrem Intimus im fernen Paris beschrieb. Es ist eben eine Geschichte. Man kann sie nicht wiederholen oder kopieren. Es bleibt nur das Eindenken. Obgleich das Kino grundsätzlich auf das Sichtbare setzen muss, besteht sein Reiz in diesem Film gerade in den fehlenden Bildern, im Verborgenen. Denn nur die Stimme der beiden Akteure erschliesst einen imaginären Möglichkeitsraum. Hinzu kommt: Der Minimalismus, bezogen auf den Plot und die Requisite, sorgt dafür, dass wir uns ganz auf die Hauptfiguren konzentrieren. Beckermanns Detailaufnahmen der Gesichter, die mal enthusiastisch, schwelgend oder dann wieder am Rand der Depression die Stimmungen der Briefe in sich aufnehmen, entfalten eine ungemeine Sogkraft.
Eine Achterbahn der Gefühle und zwei Wege in die Verzweiflung – davon berichten die Zeugnisse. Wir werden der Angst zweier Poeten vor der Aussenwelt gewahr und erfahren von Bachmanns Nervenzusammenbrüchen. Am schwersten liegt aber über dieser fragilen Dyade die Last der Geschichte. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus lassen den Tod zu einer allgegenwärtigen Konstante in den Texten der Lyriker werden. Obwohl auch Bachmann in dem Gedicht «Dunkles zu sagen» zugibt, «auf den Saiten des Lebens den Tod» zu spielen, hofft sie mit ihrem Schreiben dennoch Celan am Leben zu halten: Ich «möchte (. . .) deine Hand von den Nelken freimachen». Ein vergeblicher Versuch, der den Selbstmord des jüdischen Autors 1970 in der Seine nicht wird verhindern können.
Beckermanns Film setzt hingegen immer wieder auf kleine Lichtmomente. In den Pausen rauchen die Schauspieler miteinander vor der Tür, flirten ein wenig, tauschen sich über die Briefe aus oder setzen sich bisweilen ans Piano. Man spürt, dass eine Spannung in der Luft liegt, die nicht aufgelöst wird. Zum Glück. Denn ein kitschiger Kuss hätte das ganze Arrangement zu einer Farce verkommen lassen. Die Akteure tragen etwas, was zu gross ist, um es mit banalen Bildern wiederzugeben. Stattdessen wirken die Worte für sich. Sie gewinnen an Vitalität, weil sie gesprochen und noch einmal neu beseelt werden. Wie Musik hört sich das an. Wie eine Tonspur, die wir festhalten möchten, bevor sie sich in den Weiten des Raums verflüchtigt.
(Björn Hayer, NZZ, 02.11.2016)
Die Geträumten
2016
Österreich
89 min
Spielfilm, Hybrid, Dokumentarfilm
Deutsch
Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Dänisch