Untitled
Björn Kämmerer versteht es Objekte zu finden, die fürs Publikum zu Neuentdeckungen werden, nachdem sie sich seiner schlauen strukturalistischen Praxis unterworfen haben. Materielle Subjekte werden zuerst Abstraktion: durch Isolation in der Blackbox, durch kurze, überraschende Bewegung und andere Formen optischer oder phänomenologischer Verwirrung. Das erste Zusammentreffen mit einem Film wie Untitled ist deshalb auch durch eine Verunsicherung des Blicks charakterisiert. Schneidende, horizontal verlaufende Farben schlitzen stumm die Leinwand. Kippen, verschwinden und tauchen wieder auf - in neuer Färbung.
Dies ist ein Breitwandfilm par excellence. Die Streifen definieren und verkörpern, mal schmäler, mal weiter, das Einstellungsformat: eine schwarze Leinwand zu bonbonfarbenen Bändern geschreddert. Einen Moment später folgt die Erkenntnis: Gegenstand von Untitled sind Jalousien, die sich abwechselnd vor einem schwarzen Hintergrund öffnen und schließen. Sie wechseln die Farbe, während sie sich rhythmisch von innen nach außen und wieder zurück drehen - und mit dieser Erkenntnis wird es komisch, lustvoll, spielerisch. Ein Kino-Kultobjekt, das für immer mit dem film noir assoziiert sein wird und das Schattenskulpturen in sinistre Räume stellt - aber Kämmerer nimmt den Jalousien ihre primäre Funktion als Schleier, hinter dem sich private menschliche Sünden verstecken; in Abwesenheit dessen, was sie preisgeben oder verdunkeln könnten, modelt er vielmehr ihre Vermögen und Qualitäten im Aus- und Verstellen um zu einem herrlichen Selbstzweck. Diese festgezurrten Streifen werfen höchstens Schatten auf sich selbst. Reduzierte Tiefe, Wellenform und farbenfrohe Abstraktheit fordern spielerisch die flirrende visuelle Expressivität eines Alltagsgegenstands heraus, dessen Zweck es ist, dass man durch ihn hindurch sehen kann oder dass er den Durchblick stoppt. Untitled ist ein strip tease, bei dem das Jalousieblatt zugleich fürs Necken und Entblößen steht. Dahinter liegt weder ein nackter noch ein toter Körper. Tatsächlich gibt es das Dahinter nicht. Lange Zeit zum Fensterschmuck degradiert, bekommen die Jalousien hier endlich ihren Moment im Scheinwerferlicht. (Daniel Kasman)
Übersetzung: Isabella Reicher
Untitled
2016
Österreich
4 min