13/67 Sinus Beta
Einer ähnlich unheimlichen Situation begegnen wir in 13/67 Sinus Beta, der mehrere formale Strategien Krens in sich vereint. Zu sehen sind befremdliche Photos aus einem Buch über Mimik und Gestik, einige Köpfe aus dem Szondi-Test, Gestalten, die vor dem Regen flüchten, einige Blicke auf Menschen von einem Turm aus gesehen und schließlich Fragmente einer Aktion, die Kren 1966 beim Londoner Destruction in Art Symposium aufgenommen hat. Sinus Beta ist fast eine Art Lehrfilm über das Verhalten des Körpers in verschiedenen Situationen, aber - bewirkt durch die heterogene photographische Materialität der Ausgangselemente - genausogut ein Querschnitt durch die Methoden, den Körper photographisch ruhigzustellen und festzuhalten. So muten die grob gerasterten Photos aus dem Buch an wie die Beute, die Etienne-Jules Marey mit seiner chronophotographischen Flinte geschossen hat, um Bewegungen des Körpers vermeßbar zu machen. Die von Photographie und Druckmaschine gezeichneten, vermittelten Ausgangsbilder, Bilder aus dem "bürgerlichen Wohnzimmer", werden in Sinus Beta ruckartig animiert, lassen sich aber nur mühevoll wieder zu einer homogenen Bewegung fügen, sodaß die Gesten innerhalb des (hier bürgerlichen) Milieus als geronnene Zeichen lesbar werden. Auf der einen Seite also die durch verschiedene Abbildungs-Maschinen (Photographie, Buchdruck, Film) determinierten Posen des Körpers in bürgerlichen Innenwelten, auf der anderen Seite die erhabene Szenerie des Flüchtenden im Regen, die wie ein romantischer Gegenentwurf zum Feststellen des Körpers wirkt. Ähnlich polarisiert ist auch das Verhältnis zwischen der Straßenszene, die Kren aus der Vogelperspektive aufnimmt, und den Aufnahmen der Londoner Aktion. Die Vogelperspektive liefert einen Lageplan, auf dem die kollektiven Bewegungsstrukturen der Menschenmenge zu verzeichnen und zu studieren sind. Dem gegenüber stehen die "unkontrollierten" Bewegungen der Aktionisten. Das unterbelichtete und unruhige Bild tut ein übriges, ein klar "lesbares" Bild zu vernebeln.
Es ist ein seltsamer, absurder Zoo, in dem Kren seine Studienobjekte vorführt, ein Panoptikum erlernten und instinktiven Verhaltens ebenso wie eine implizite dialektische "Dokumentation" über den Entstehungszusammenhang der Bilder: als photographische/drucktechnische Festschreibung und Verhaftung oder als flüchtige Animation und "Befreiung" im filmischen Bewegungsfluß.
(Michael Palm: Which Way?, Drei Pfade durchs Bild-Gebüsch von Kurt Kren, in: Hans Scheugl (Hrsg.), Ex Underground Kurt Kren. Seine Filme, Wien 1996)