Cut

Der Körper als Wunde, die nicht heilt. (Girardet, Müller)


Der Titel dieser fein getakteten Schnipselorgie bezieht sich nicht nur auf den wichtigsten Aspekt der Footage-Collage-Technik, nämlich den Film(aus)schnitt, sondern auch auf den Schnitt durch menschliches und sonstiges Gewebe. Und also wird geritzt, geschlitzt, gebrannt, gestochen, geblutet, versehrt und genäht, sozusagen was das Zeug hält. Ein haptisch-sinnliches Vergnügen, aus dem man, wie immer bei Girardet/Müller, auch ein nerdiges Ratespiel machen kann: Wer erkennt die Clips von Cronenberg bis Buñuel, von HOUSE OF WAX bis WILD AT HEART? (Viennale, festival catalogue, Vienna, October 2013)


Gilles Deleuze schreibt von der Farbe im Film, sie symbolisiere nicht Affekte (Rot für die Liebe, Grün für die Hoffnung), vielmehr sei die Filmfarbe selbst schon Affekt, ein neuer Gefühlszustand, unübersetzbar in irgendein anderes Medium. Dasselbe gilt samt und sonders für die Schnitte in den Filmen von Girardet und Müller: Auch sie symbolisieren nicht, sondern schaffen selber neue, rätselhafte Affekte. In Cut, einem Film, (…) der nicht umsonst den Schnitt schon im Titel trägt, schneiden sie Körperbilder mit Naturaufnahmen, Anorganisches mit Organischem zusammen, sodass sich daraus eine körperliche Erfahrung ergibt, die ihresgleichen sucht: Wassertropfen, die auf Blüten fallen, assoziieren sich mit der tropfenden Medizin der Infusion, mit den Blutstropfen, die aus Wunden rinnen, und diese wiederum setzen sich fort im Wasser, das in Dario Argentos PROFONDO ROSSO aus dem Mund der Hellseherin stürzt. Die Adern im Röntgenbild der kleinen Regan aus THE EXORCIST finden ihre Analogie in den verkrüppelten Ästen, die sich in Mario Bavas MASCHERA DEL DEMONIO vor dem Gewitterhimmel abzeichnen. Und wenn die wahnsinnige Nonne aus Michael Powells BLACK NARCISSUS aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich kommt, setzt sich ihr Augenaufschlag fort in jener spöttisch hochgezogenen Augenbraue von Dana Wynter aus INVASION OF THE BODY SNATCHERS, wenn sie sich als Besessene zu erkennen gibt. So verbinden sich die verschiedenen Gestalten und Objekte zu einem neuartigen, von rätselhaften Affekten beseelten Wesen. Die am Schneidetisch von Girardet und Müller entstehenden Körper haben ihre scharfen Konturen verloren und werden stattdessen zu dem, was Deleuze "organlose Körper" nennt – dezentrierte Leiber, die ihre Organisation abgestreift haben und stattdessen zu "Zonen der Ununterscheidbarkeit" werden, wo sich verschiedene Personen vermischen und wo technische Gerätschaft in Körperglieder übergeht und umgekehrt: Auf das Bild einer wütend unter die Haut geschobenen Kanüle antwortet die Großaufnahme eines weitgeöffneten Mundes, aus dem der Atem rasselt. Die Haut ist auch ein Strumpf, den man zerreisst, der Teppich auch eine Epidermis, die blutet. Haar ist Schilf und die Kissenfüllung Eingeweide. Ein gänzlich neues Körpergefühl ereignet sich in Bildern und überträgt sich auf den sprachlosen Zuschauer, dem nichts übrig bleibt, als sich überwältigen zu lassen von Affekten, die er nicht kennt. "Tell me what you see!" heisst es in CONTRE-JOUR (…). Eine Aufforderung von höchster Ironie – denn genau daran, übersetzen zu wollen, was sich da vor unseren Augen ereignet, scheitern wir. Die neuen Schnittaffekte lassen sich sehen und erleben, aber nicht beschreiben. (…)
(Johannes Binotto: Phantombilder – Glance-Lichter. Zur Fortführung des Kinos bei Christoph Girardet und Matthias Müller. Filmbulletin, 1.14, Winterthur, January 2014)

Orig. Titel
Cut
Jahr
2013
Land
Deutschland
Länge
13 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
keine Angaben
Downloads
Cut (Bild)
Cut (Bild)
Cut (Bild)
Credits
Regie
Matthias Müller, Christoph Girardet
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Farbformat
Farbe, s/w
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Farbformat
Farbe, s/w