Gefühl Dobermann
Gefühl Dobermann ist ein Familienhorrorfilm auf dünnem Eis: Während Regisseurin Gabriele Mathes vor der Kamera eine Familie inszeniert, fragt man sich, wo die Inszenierung endet und die Wahrheit beginnt. Sind das wirklich ihre Geschwister, ihre Mutter, Nichte und Neffe? Sind die vor der Kamera geteilten Erinnerungen echt? Die Geschichte vom verhungerten Haustier, von plattem Fell und milchigen Augen – nur ein Drehbucheinfall?
Szene 1, Wohnzimmer: Während die Regisseurin letzte Rollendetails mit den Protagonisten bespricht, wird die Mutter im Hintergrund geschminkt. Sie soll eine alte Frau spielen, die die Tochter zu Hause pflegt. Aber die kann – laut Drehbuch – selbst nicht mehr und wünscht der Hilfsbedürftigen den Tod. Oder, dass sie wenigstens ins Heim kommt. "Ich will doch net ins Heim", protestiert die Mutter. "Aber im Film ist es halt so", sagt die Regisseurin streng.
Szene 2: Im Vordergrund werfen die Kinder mit Lego, im Off hört man die alte Mutter schreien: "Au, auaua! I brauch a Hilfe!!" Die Tochter schneidet weiter ungerührt Haare, ihr Mann raucht: "Soll I eini gehen?" – "Na, lass´ a bissi schrein."
Es ist eine unausgesprochene Übereinkunft: Familien, Kinder, alte Menschen werden im Mainstreamkino geschont. Michael Hanekes Funny Games ließ seine Gewalt gegen eine Familie bewusst in diese sichere Annahme hinein explodieren. Gabriele Mathes macht einen Seitenschritt. Zwar kommt in Gefühl Dobermann niemand körperlich zu Schaden. Aber allein das Gedankenspiel, wie es wäre, seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen, die Mutter zu fesseln und zu knebeln, damit sie im Bett drüben nicht plärrt, treibt den Beteiligten Wut und Schrecken ins Gesicht. Und die sind fraglos echt.
(Maya McKechneay)
Eine Drehpause: Protagonist/innen führen Smalltalk, es spielen Kinder, ein Mops schnauft. Die Regisseurin brieft die Mutter zur anstehenden Szene, doch diese verweigert Fessel und Knebel. Sie verstehe den Zorn der Tochter nicht, klagt sie. Ob den der Filmfigur oder den der Verwandtschaft, bleibt unklar. Wie sich auch der weitere Handlungsverlauf der eindeutigen Unterscheidung von Spiel und Leben widersetzt. Vieles sei niemals richtig ausgesprochen worden, heißt es. Tatsächlich scheinen sich verdrängte Emotionen mit jedem Blick und jeder Geste in den Filmdreh zu übersetzen; in eine Wohnungsenge, die in der Unbarmherzigkeit von Handkamera und Naturlicht zunehmend Beklemmung suggeriert. Ein subtil gebautes Kammerspiel über (familiäre) Sprachlosigkeit, Kindheitstraumata und Sadismus.
(Sebastian Höglinger, Diagonale-Katalog)
Meine Mutter weigerte sich. Sie will nicht gefesselt, geknebelt und erstickt werden. Auch nicht für diesen Film. In der Drehpause spielen Erna und Helmut ein Spiel, das aus meiner Kindheit stammt. Eine Mördergrube kann in jedem Herzen sein.
(Gabriele Mathes)
In Gefühl Dobermann verfolgt Gabriele Mathes einen sehr eigenwilligen Weg des Filmemachens: in ihren Dreh war die Familie eingebunden, und erfährt Szene für Szene von der Geschichte. Dass die eigene Mutter nicht unbedingt vor der Kamera einen Pflegefall mimt, der niedergeknebelt wird, ist ein Dialog für sich.
(Maria Motter, FM4)
Gefühl Dobermann
2015
Österreich
16 min