Odessa Crash Test (Notes on Film 09)
Sergej Eisenstein schuf einen der ikonischen Momente des Kinos, als er im Revolutionsklassiker Panzerkreuzer Potemkin zum Finale furioso seines fiktiven Massakers auf der Treppe von Odessa einen Kinderwagen über die Stufen sausen ließ. Der unkontrollierte Todesritt eines hilflosen Babys – der Wagen entgleitet der erschossenen Mutter – war zugleich Illustration von Eisensteins Montage-Prinzipien: als idealer Kontrast zum maschinenhaften Rhythmus der herabschreitenden Soldaten. Viele Regisseure haben der Szenenfolge Tribut gezollt, etwa Brian De Palma als Superzeitlupen-Shootout-Beigabe in The Untouchables – die prompt vom heldenhaften Slapstick-Einsatz von Leslie Nielsen & Co. in The Naked Gun 33 1/3 übertrumpft wurde.
Wenn Norbert Pfaffenbichler nun diesen Kinderwagen-Treppensturz einem Odessa Crash Test unterzieht, kommt das Entfesselungspotential dieser Raserei unbehelligt von didaktischen (Eisenstein), dramatischen (De Palma) oder komischen (Nielsen) Absichten erst richtig zur Geltung. Denn sein Wagen-Wahnsinnsritt treppab ist als sensationelles Stilmittel-Stakatto konstruiert, das wie nebenbei Drama und Komik der Situation grotesk überhöht – die Tempi der Einstellungen wechseln so rasant wie ihre Größen, Formate und Perspektiven. Dank Radachsen-Kamera überstürzen sich die Ereignisse und Bilder buchstäblich. Zum Zucken zwischen Geschwindigkeitsrausch und Zeitlupen-Suspense wechselt die Tonspur immer wieder von tosender Musik-Melodramatik zu schlingerndem Kinderwagenschmurgeln zu atemloser Stille – die überhand nimmt, wenn der Höhepunkt kommt, den Eisenstein nicht zu zeigen wagte: Wie das Baby aus dem Wagen katapultiert wird und zu einem Höhenflug ansetzt, der angemessen absurd ausgekostet wird – bis zum unvermeidlichen Aufschlag. Odessa Test Crash: a smashing success.
(Christoph Huber)
Odessa Crash Test. Notes on Film 09
2014
Österreich
6 min