Creme 21
Die Sterne spielen verrückt. Das Bild wild durcheinander geratener Himmelskörper kehrt in Eve Hellers Creme 21 wieder. Ihr Film, montiert aus gefundenen Bewegungsbildern, aus alten Spiel- und Schulfilmen, beginnt und endet mit dem Tunnelblick ins All. Vom Schwebezustand der Kosmonauten geht es zurück zur Erde, flüchtige Schatten beleben die Räume, ein schlammbedeckter Mann wird aufgerichtet. Zwei Augen öffnen sich zögernd, man sieht, wie sie zu sehen beginnen. Nach dem tonlos-schwarzweißen Prolog stellen sich Klang und Farbe ein: Kurze Musik- und Kommentar-Fragmente werden im Cut-up-Verfahren aufgereiht, begleitet vom sanften Klicken der knapp tausend Filmklebestellen – eine Messe zerschlagener Sätze und synthetisch-exotischer Klangcollagen.
„Times“ ist das erste Wort, das Heller isoliert, „entropy“ und „universe“, „energy“ und „gravity“ sind weitere zentrale Begriffe. Das Kino bricht Zeitabläufe, greift in fixierte Chronologien ein. Das in Rot, Blau und Violett leuchtende Filmmaterial zeigt Wüstenlandschaften und Kreisformen, einen Trampolinathleten, ein Reagenzglas, in dem sich diskontinuierlich Tinte ausbreitet; ein Retro-Spielzeugroboter trampelt über Kartenhäuser. Man sieht Ziffern, Pfeile, Uhrwerke, Seventies-Laborgeräte, psychedelische Diagramme, surreale Versuchsanordnungen in Zeitlupe und (scheinbarer) Realzeit. Heller verzahnt Natur und Wissenschaft, setzt das Universum dem Zugriff der Maschinen aus. Creme 21 endet im interplanetaren Raum, als traumlogische, gleichsam kosmische Komposition, als avantgardistische Science-fiction zu den Lustbarkeiten des analogen Kinos. „What is now?“, fragt eine Frauenstimme – und der Film serviert seine Replik kühl: „Jetzt“ ist jeweils nur jener Moment, den man gerade verpasst hat.
(Stefan Grissemann)
Ausgehend von einem aus Lehrfilmen bestehenden, umfangreichen Found-Footage-Material taucht Eve Heller mit CREME 21 ein in die unergründlichen Weiten und Tiefen der Zeit. Allen didaktischen Versuchen, das Wesen der Zeit zu ergründen, erklärt dieser Film eine lustvoll-verspielte Absage: Nur jene kleine Differenz zwischen Bildkader und Tonspur, die im Kino eine scheinbare Synchronität von Bild und Ton erst ermöglichen, erlaubt es uns, auf und vor der Leinwand über das Unmögliche nachzudenken. So schön und viel zu schnell können zehn Minuten vergehen.
Eine kurze Geschichte der Zeit. Ein Found-footage-Sammelsurium, das an der eigenen Perzeptionskraft zweifeln lässt. Stark techniklastige Bilder und Grafiken verflüchtigen, verlangsamen und wiederholen sich, hüpfen und tanzen vor unseren Augen, begleitet von einem ebenso fragmentarisierten «Audiokommentar ». Und all das zu einem Zweck: uns einen Begriff der subjektiven Wahrnehmung von Zeit zu geben. Dem kosmischen Bilderrauschen wird auf der Tonspur ein nüchternes Ende gesetzt: «But finally we find it impossible to answer that most compelling question.» Was war noch mal die Frage?
(Viennale Katalog 2013)
Creme 21
2013
Österreich, USA
10 min