What Remains
What Remains
What Remains zeichnet ein subtiles Architekturporträt einer ehemaligen Zeitungsverlagslandschaft im Osten von Amsterdam und verweist dabei auf den international fortschreitenden Auflagenrückgang innerhalb der Zeitungsbranche (…) Geführt von der Off-Stimme des Redakteurassistenten Gijs van den Werve („de Volkskrant“) fügen sich im Laufe des Videos die unterschiedlichen Räume und Eindrücke zu einem Gesamtbild zusammen und skizzieren den steten Wandel der Medienindustrie. Die ruhige, statische Kameraarbeit und der vorwiegend unbearbeitete Tonschnitt unterstreichen die ephemere Zwischennutzung der Gebäudelandschaft und versinnbildlichen die Verflechtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
(Annja Krautgasser)
Die psychoanalytisch inspirierte These, dass der Vorspann eines Filmes in nuce bereits dessen gesamten Inhalt präsentiert, besitzt auch dann eine gewisse Plausibilität, wenn es sich nicht um einen Spielfilm aus einer Traumfabrik handelt.
Die Anfangssequenz von Annja Krautgassers Video What Remains zeigt nicht mehr als den Titel und führt doch unmittelbar in das Thema. Für genau vier Sekunden sind in kapitalen weißen Lettern auf schwarzem Grund die beiden Worte zu lesen, die mangels weiterer Interpunktion weder eindeutig eine Frage noch eindeutig eine Feststellung formulieren, sondern fragmentarisch bleiben. Der eigentliche Vorspann besteht aus drei exakt gleich langen Einstellungen, die die Protagonisten dieses – wie es im Untertitel heißt – „architektonischen Porträts des ehemaligen Zeitungsviertels in Amsterdam-Oost“ vorstellen. Zu sehen sind Außenansichten der Verlagshäuser der niederländischen Tageszeitungen Het Parool, Trouw und de Volkskrant, die jahrzehntelang ihren Sitz in der Wibautstraat hatten, bevor die Produktion an dieser Adresse im Laufe der letzten Dekade sukzessive eingestellt wurde.
Die ursprünglich stark unterschiedliche politische Ausrichtung der Verlage, die in unmittelbarer räumlicher Nähe befindlichen Verlagsgebäude und ihr gemeinsames Schicksal als Industrieruinen mit wechselnden Nachnutzungen bilden die Ausgangsbasis für Krautgassers Arbeit. Durchaus auch im Wortsinne, denn die Künstlerin arbeitete während eines Stipendienaufenthalts in einem Atelier in der vierten Etage des ehemaligen de Volkskrant-Gebäudes mit Ausblick auf den gegenüberliegenden Komplex, der bis 2003 von der Tageszeitung Trouw genutzt wurde. Krautgassers Annäherung an ihren Gegenstand erfolgt dennoch bewusst distanziert. Sie begibt sich nicht auf eine subjektive „Spurensuche“, die nicht anders könnte als aus den „Fundstücken“ das herauszulesen, was zuvor in sie hineingelegt wurde: Die ausgebildete Architektin analysiert die drei Gebäude „strukturalistisch“, indem sie eher unscheinbare Bereiche wie Aufzüge, Gänge, Foyers, Büroräume, Wartebereiche oder Produktionsanlagen in einer präzisen Abfolge von sparsamen Standbildern und knappen filmischen Sequenzen in den Blick nimmt und miteinander vergleichbar macht. Abgesehen von einigen gestalterischen Details sind es primär die großformatigen Schriftzüge der Zeitungen an den Fassaden, die es erlauben, die gezeigten Schauplätze dem jeweiligen Gebäude zuzuordnen.
Über weite Strecken dominieren anonyme, uniforme Innenansichten, die keinerlei Rückschlüsse etwa auf die Gesinnung der Redakteure zulassen, die jahrelang in diesen Räumen gearbeitet haben. Zu sehen ist stattdessen das, was Rem Koolhaas in seiner grimmigen Abrechnung mit der Architektur der Gegenwart als „junk-space“ bezeichnet hat. „Junk-space“ ist eine Architektur ohne Eigenschaften, die in ihrer Gesichtslosigkeit und Austauschbarkeit allerdings weit davon entfernt ist, lediglich banal zu sein. Im Gegenteil: „Junk-space“ ist der Sieg der Infrastruktur über den Raum, der Triumph des Amorphen über die Form, der Ideologie über die Politik, der Bilder über die Sprache.
What Remains unternimmt eine Vermessung des „junk-space“ just in dem Moment, da dieser allgegenwärtig wird und auch jene Architektur erfasst, die grundsätzlich der Moderne verpflichtet ist. Annja Krautgassers Video betreibt daher keine Archäologie einer vergangenen Industrieepoche, sondern die stringente Beschreibung des Istzustandes ohne sentimentale Trübung.
(Christian Muhr)
What Remains
2013
Österreich, Niederlande
16 min