Viel lauter kann ich nicht schreien
Der Titel ist Programm – anders als erwartet: kein "Film wie ein Schrei", sondern Ausdruck von Subjektivität als gewitztes Sprachspiel und Motivgewebe, bei dem etwas nicht zu hören ist. Es handelt von/besteht aus tönenden Medienbildern rezenter Aufstände und Katastrophen (aus einem BBC-Archiv); dazu ein Kommentar in Inserts. Das Autoren-Ich ist in Untertiteln zu lesen, nicht zu hören: ein tonloser Schrei, der räsonniert.
Kapitel 1 heißt I see things differently, zeigt Bilder von Straßendemos, Polizeiknüppeln, Tränengas: Athen, arabische Aufstände, London Riots. "I can only speak for myself" meint das anders sehende Ich – in Titeln, die nicht sprechen. I hear things differently heißt Kapitel 2. MGs knattern im lybischen Bürgerkrieg, aber die stumme Rede sagt, das Anders-Hören stamme von einem Led Zeppelin-Konzert: Dem Ich ist ein Pfeifen im Ohr geblieben; der Film lässt es uns hören – und wechselt vom Tinitus zum Tsunami (Japan 2011), der Autos und Schiffe mitreißt. Wohin? Vielleicht in den einstigen Aralsee, eine Wüste, in der Schiffswracks verrosten. Dort endet, zum Wall of Sound-Rock von Thalija, der Film. Doch vor der End-Wendung zum Biblischen (von der Anarchie zur Arche) vollzieht er Ent-Wendungen ins Weltliche der Politik und Medientechnik: Kapitel 3 heißt I have no voice und behandelt Synchronstimmen; als wär's ein Stück maschek, lässt es Obama kalauern und listet alle Stars auf, die ein prominenter Synchronsprecher eingedeutscht hat. Die andere Wendung ist ein Abdecken von (Kamera-)Augen beim Blick auf Demo-Bilder: Decke ich das rechte Auge ab, hat das Bild einen roten Farbton, schließe ich das linke, einen grünen. So kippt Subjektivität in Physik, Politik, Gags: Ein Bild in rot, eines in grün – eine Formel für 3D-Kino? Oder doch politische "Färbung"? Das linke Auge sieht die roten Fahnen der Athener Proteste, das rechte die islamistisch-grünen der "Arabellion".
Die Sequenz enthält das schöne Wort hue. Es heißt "Farbton" oder "Geschrei". Ist das ein Aufschluss für den sprachlosen Anspruch des Filmtitels? Cry heißt "schreien" oder "weinen". Weinen ist, pathetisch gesagt, die stimmlos-beredte Sprache der Augen (die anders sehen und denen beim Weg der Rebellion in den Gottesstaat zum Weinen ist). Und: Weinen ist, was ein Auge tut, wenn es auf Tränengas trifft – oder lange zugekniffen wird. Ein Ausfluss: hue from the eye. From the I to you.
(Drehli Robnik)
TV- und Internetbilder aus aller Welt durch- und überfluten unseren Alltag. Die Kontextualisierung erfolgt wie nebenbei - oder gar nicht. Wie stehen beispielsweise die Proteste im arabische Raum mit der eigenen Realität in Beziehung? Wie mit der eigenen Person, dem eigenen Sehen, Hören, Verstehen? Robert Cambrinus´ titelgebender Schrei ist ein stummer und doch voller Witz. In Schriftinserts sinniert er über die Eigenheiten und das (Un-)Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung. Dahinter flimmern unsortierte Protest- und Katastrophenimages. Bild und Text kommentieren einander nur indirekt, Assoziationen erfolgen notgedrungen individuell - immer anders, falsch, richtig.
(Diagonale Katalog 2013)
I can't cry much louder than this
2012
Österreich
11 min 23 sek
Essay, Avantgarde/Kunst
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