RECONNAISSANCE
„Reconnaissance“ meint gemeinhin Naherkundung, auch Auskundschaftung – das, was im militärischen Bereich der „Aufklärung“ zuzuordnen ist. Derlei Konnotation stellt sich auch bei Johann Lurfs RECONNAISSANCE unweigerlich ein, ist der Film doch als wahrnehmungsintensive Gebietserkundung angelegt. In tonlosen Einstellungen bildet er ausschnitthaft das Morris Reservoir nahe der kalifornischen Stadt Azusa ab – ein riesiger Stausee, der lange Zeit als Testanlage für Torpedos bzw. die Unterwasserkriegsführung diente. RECONNAISSANCE nimmt Details des Geländes scheint´s unbewegt in Visier, um innerhalb dieses „Framings“ ein subtiles Spiel mit Licht und Bewegung zu entfachen. Erst ist es eine Gesteinswand, auf welcher der Lichteinfall fast unmerklich zu changieren anfängt. Dann folgen Teile des Staudammes, rampenartige Betonkolosse, verbaute Straßenabschnitte, unterirdische Schachtanlagen sowie Halbtotalen der Umgebung – allesamt sublim verfremdet. Der eine Verfremdungseffekt liegt im teils abrupten, teils fast nicht wahrnehmbaren Wechsel der Lichtverhältnisse. Der andere, weitaus gespenstischere, in der gleitenden Bewegung einzelner Landschafts- oder Bauteile. So beginnt einmal der Hintergrund eines Gebäudes zu „wandern“, einmal die von der Dammanlage „eingerahmte“ Steinwand gleichsam aus ihrem Rahmen zu fliehen. Aufklärung, sprich Licht in die obskur-monströse Anlage zu bringen, versucht so auch immer wieder ihr Gegenteil mit einzubeziehen – als lasse sich das Eigenleben dieses militärischen Zweckbaus nicht einfach stilllegen oder bannen. Oder eben nur um den Preis ablichten, dass den bizarren Baufragmenten ihre eigene, aus sich heraus wirkende Dynamik zugestanden wird. Was dem Akt der Auskundschaftung einen höchst bemerkenswerten visuell-dialektischen Dreh gibt.
(Christian Höller)
In seinem ersten außerhalb von Österreich gedrehten Film inspiziert Lurf das Morris Reservoir, ein ehemaliges militärisches Testgelände für Torpedos in Kalifornien. Wirkt bereits der Wechsel aus Nah- und Großaufnahmen irritierend, so evozieren die subtilen Lichtwechsel und gleitende Bewegungen von Bauteilen und Landschaftsstrichen bei fixen Einstellungen Gefühle der Beklemmung und Unwirklichkeit. Erblickt man reales Gelände oder ein Modell? „Reconnaissance“ ist ein militärischer Ausdruck für die visuelle Auskundschaftung feindlichen Gebietes, der Titel auch eine Ironie auf die Position des Filmemachers, der wegen fehlender Zutrittsgenehmigung aus der Ferne filmte.
(Verena Teissl, Viennale Katalog, 2013)
Morris Reservoir, Kalifornien. Ein ehemaliges Torpedo-Testgelände ist stummer Protagonist von Johann Lurfs RECONNAISSANCE – eine technisch ausgefeilte Erkundung eines Ortes, dessen architektonische Merkwürdigkeiten im Spiel von Licht und Schatten ein irritierendes Eigenleben entwickeln.
(30. Kasseler Dokfest, November 2013)
RECONNAISSANCE
2012
Österreich, USA
5 min