FRIEDL
Im letzten Drittel von FRIEDL sehen wir Viki Kühn in das Bild greifen, nach einer Uhr an der Wand. Sie bewegt spielerisch das Pendel hin und her und beginnt dann, die Zeiger derselben Uhr zu verstellen, um eine halbe Stunde voraus. FRIEDL dokumentiert die Wohnung eines Menschen, der – infolge seiner Krankheit – an- und abwesend zugleich ist. Zeit ist eine Größe, die vergangen war, bevor der Film einsetzt.
Der Streifzug der Kamera beginnt in der Küche, wo wir bereits mit dem Medikamente-Vorrat konfrontiert werden; wir gehen ins Bad, von dort ins Schlafzimmer, von dort wiederrum in die Wohnräume. Wir sehen Gegenstände – Geschirr und medizinische Gasflaschen neben dem Bett, Pölster und Möbel, Fotografien, Bücher und noch mehr Fotografien, Kleidungsstücke. Aber die Dinge an sich sind unbelebt und bedeutungslos. Alles ist sauber, aufgeräumt, inert. Wenn Wohnen (nach Ernst Bloch) bedeutet, Spuren zu hinterlassen, so finden wir uns hier in Räumen wieder, in denen alle Spuren eingefroren sind in der Zeit. Das Leben hält den Atem an. Die Menschen und Tiere auf den Fotografien sind uns unbekannt und lösen keine Erinnerung aus. Der Morgenmantel an der Kastentür ist eine leere Hülle, nutzlos, ohne den Menschen, den er zu bedecken hat.
Viki Kühn selbst ist nachhaltig anwesend, nicht nur hinter der Kamera, als Spiegelbild und – gemeinsam mit der Kranken und ihrer Mutter – in der parallel laufenden Tonspur, sondern vor allem durch ihre Interventionen: Sie liegt mit ihren Schuhen im Bett der Kranken, sie greift ein, ja, sie manipuliert. Es ist als würde sie an den Dingen rütteln, um sie in Bewegung zu versetzen, zum Leben zu erwecken. Aber jeder Stein, den sie in diesen See wirft, verhallt: Es gibt kein Narrativ und keinen Kontext außerhalb davon, was die Kamera uns zeigt und der Ton uns hören lässt. Und jede Uhr folgt ihrem eigenen Rhythmus, zeigt ihre eigene Zeit.
(Sylvia Szely)
Die Kamera durchsucht akribisch eine unaufgeräumte, altmodisch bürgerliche Wohnung, findet Pillenschachteln, Erinnerungsstücke, Bücher, schaut in Kleider-, Badezimmer- und Kühlschrank, fokussiert auf Uhren. Nach einiger Zeit sind ein Katheter und ein Rollstuhl zu sehen. Unterdessen diskutieren die Filmemacherin und ihre Mutter Blutdruck-Messergebnisse der Bewohnerin, die aber nie ins Bild kommt. Man ruft den Arzt an. Eine soziale Intervention wird mit der Aufzeichnung einer eingefroren wirkenden Lebenssituation kurzgeschlossen: ein Heimvideo der einprägsamen Art.
(Viennale Katalog, 2011)
Eine Küchenwanduhr, ein Kalender, ein Herd; eine Vase, Küchenrollen, Plastikverpackungen, ein Wäschekorb im Vorraum: Die Kamera streift nah an den Dingen entlang, lässt ihren Blick über Tische und Bücherschränke schweifen, verweilt ein paar Sekunden bei Pillendöschen und Mediakmentenpackungen neben der Mikrowelle, dann schwebt sie weiter, um zwischendurch immer wieder vorwärts zu stoßen, auf irgendein Detail hin, impulsiv, forndern fast. Friedl ist ein Akt der Sammlung.
Was erkennt man, wenn man Alltägliches sieht? Was liegt hinter den Oberflächen des "Normalen"? Die allgegenwärtigen Zifferblätter der Uhren der Wohnung werden zum Leitmotiv, machen Friedl zu einer Reflexion über die Zeit, über das Verrinnen und Vergehen.
(Stefan Grissemann)
go to interview zum film
FRIEDL
2011
Österreich
18 min