Postcard from Somova, Romania
Die Zeit der Postkarten ist abgelaufen. Die Karte als buchstäblicher Ausdruck des Schönen und Fremden ist zu einem Anachronismus geworden, den sich nur leistet, wer es nicht besonders eilig hat. Insofern korrespondiert auch das erste Bild in Postcard from Somova, Romania mit den darauf folgenden Aufnahmen des Films: Zunächst sieht man eine Uhr, die nicht wie bei Salvador Dalí zerfließt, sondern zu den Klängen von Ralph Vaughan Williams’ „Partita für doppeltes Streichorchester“ in Stücke zerbrochen auf der Erde liegt. Es folgen Bilder von einem Ort, an dem tatsächlich die Zeit stehengeblieben zu sein scheint: der Hafen von Somova am rumänischen Donaudelta. Hunde und Katzen streunen auf der Suche nach Nahrung am Flussufer entlang; Ziegen grasen auf einer Wiese und behaupten ihr Revier in spielerischem Kampf; ein an einem Holzwagen angeschirrtes Pferd frisst Heu. Wenn im Dokumentarfilm oft von „Ausgrabung“ die Rede ist, so macht Andreas Horvath hier genau das Gegenteil. Man spürt deutlich, wie die Kamera sich in dem schmalen Uferstreifen zwischen Wasser, Wiese und Wald eingräbt und mit höchster Aufmerksamkeit jede kleinste Bewegung registriert, während der Wind unablässig in den Baumkronen rauscht. Was der Fluss an Unrat hier angeschwemmt hat, kommt aus einer anderen Welt und so schnell nicht mehr weg. Wie die zerbrochene Uhr ist auch der achtlos weggeworfene Müll längst Teil der Szenerie geworden. Beinahe unmerklich geht der Nachmittag in den Abend über, als zufällig zwei Fischer mit einem kleinen Boot anlegen und dem Pferdefuhrwerk davonfahren. Bei Einbruch der Nacht bleiben nur die Ziegen zurück. Indem Postcard from Somova, Romania vom scheinbar nutzlosen Warten erzählt, erreicht er in der Beobachtung dieses Zustands höchste Qualität. Eine Momentaufnahme von dauerhafter Schönheit.
(Michael Pekler)
Postcard from Somova, Romania
2011
Österreich, Rumänien
20 min