Der Schatten des Propheten
Vor Ahmadou Bambas Bild gibt es kein Entkommen im Senegal: es baumelt vom Rückspiegel eines Taxis, man findet es in der Bäckerei, in Küchen, Schlafzimmern und auf Märkten; es ist auf jede zweite Häuserwand gepinselt. Scheich Ahmadou Bamba, auch Serigne Touba genannt, ist der Gründer der Sufi-Bruderschaft der Muriden, einer der einflussreichsten islamischen Religionsgruppen des Landes. Und sein Bild ist überall.
Philipp Mayrhofer und Christian Kobald folgen in Der Schatten des Propheten der Spur dieses Bildes, das auf die einzig existente Fotografie Ahmadou Bambas zurückgeht, aufgenommen zu Identifikationszwecken von der französischen Kolonialpolizei im Februar des Jahres 1913. Sie sprechen mit Fotografen, die es wie am Fließband reproduzieren, sie besuchen den Gerichtssaal, in dem Ahmadou Bamba zur Verbannung nach Gabun verurteilt wurde und besuchen eine alljährliche Prozession in der zweitgrößten Stadt des Senegals, Touba, die von Ahmadou Bamba gegründet wurde und in der er auch begraben liegt. Der Schatten des Propheten ist ein Film über die Kraft der Bilder in einer Kultur, der eigentlich nichts ferner liegt als ihre Anbetung.
Konsequent vermeiden Mayrhofer und Kobald es dabei, den Senegal durch die übliche westliche Linse paternalistischen Mitleids zu betrachten. Stattdessen setzen sie sich mit der Ästhetik des Senegals auseinander und versuchen in ihrer Darstellung den dort gültigen Konventionen der Inszenierung und Selbstpräsentation zu folgen: frontal, flach, fast tableauhaft. Unterlegt mit der hypnotischen Musik Koudlams gerät der Film dabei immer tiefer in den Sog jener sanften, fast klandestinen Subversion, mit der hier im Laufe der Jahrzehnte ein polizeiliches Ausweisfoto in eine politisch-religiöse Ikone verwandelt wurde. Bis Der Schatten des Propheten am Ende von den Anhängern Ahmadou Bambas selbst zu einem Vehikel umgedeutet wird, mit dessen Hilfe die Botschaft ihres geistigen Führers hinaus in die Welt getragen werden kann.
(Dominikus Müller)
Auf Spurensuche des Scheichs und Sufi-Ordensgründers der Muriden Serigne Touba (1853-1927), der sein Gesicht immer zu verbergen suchte, begeben sich Philipp Mayrhofer und Christian Kobald in ihrer ethnografischen Dokumentation Der Schatten des Propheten. In Dakar und der ehemaligen Kolonialhauptstadt Senegals, Saint Louis, tragen sie mit Leichtigkeit die Legenden und Mythen zusammen, die sich um den widerständischen Revolutionär ranken. Die Nachstellung historischer Szenen in Form von Graffiti-Malereien durch lokale Künstler lassen Tableaux vivants von archaischer Schönheit entstehen, die von persönlicher Kenntnis und auch tiefer Leidenschaft gegenüber dieser Ikone geprägt sind. Eine Pilgerversammlung zeigt die entfesselte und Minuten später gebändigte Anhängerschaft, Offenbarungen und gelehrte Betrachtungen hingegen bleiben bei einzelnen Gelehrten und Philosophen.
(Ute Katschthaler)
Der Schatten des Propheten (Artikel)
Link:
https://sennhausersfilmblog.ch/2011/11/11/duisburg-11-der-schatten-des-propheten-von-christian-kobald-und-philippe-mayrhofer/
Das Bild des Mannes mit dem Kopftuch und dem finsteren Blick ist im Senegal, vor allem in Dakar, allgegenwärtig. Es geht zurück auf die einzige erhaltene Fotografie des Religionsgründers der Muriden, Scheich Amadou Bamba Mbacké, von den Anhängern seiner Sufi-Bruderschaft auch Sériñ Touba genannt. Bevor ich diesen Film gesehen hatte, wusste ich nichts über ihn. Das einzige, was ich schon gelesen hatte: die Muriden stellen den grössten Anteil der Emigranten aus dem Senegal. Auch den beiden Filmemachern war nicht viel bekannt über ihn, aber beide waren fasziniert von der Logo-artigen Qualität des Bildes. Wie kommt ein Mann, der vor über hundert Jahren geboren wurde, zu dieser Omnipräsenz? Denn sein Konterfei ist in Dakar allgegenwärtig, auf Wänden, in Schaufenstern, auf Reklametafeln, auf Amuletten.
Mayrhofer und Kobald, deren anthropologisch-ethnografisches Experiment The Moon The Sea The Mood mich in Duisburg 2008 beeindruckt hatte, gehen vordergründig ganz einfach vor: Sie fahren in den Senegal und beginnen, mit den Leuten zu reden. Schon der Taxifahrer erklärt die magische Wirkung des Konterfeis, zwei weitere Männer schwärmen von der unglaublichen, prophetischen Wirkung des Serin Touba – um am Ende ihres Sermons die T-Shirts mit seinem Konterfei in die Kamera zu halten, von deren Verkauf sie leben. Es folgt ein Fotograf, der gut verdient an den immer neuen Reproduktionen des Originalbildes, die er verkauft, dann diverse Marabus, welche ihre mehr oder weniger direkte Abstammung von Serin Touba beteuern – und gerade, wenn man bereit ist, das ganze als kommerzielle Inszenierung abzutun, tauchen die ersten Zeugen auf, die den Ton verändern.
Mayrhofer und Kobald haben einen überaus runden, vielfältigen Film gebaut, der das Phänomen Serin Touba täuschend einfach aus verschiedenen Blickwinkeln angeht, ohne Kommentar selbstverständlich, aber unter ethnografisch und religionsgeschichtlich informierten und strukturierten Leitlinien, die sich allmählich erschliessen. Dass das in 52 Minuten nicht nur möglich ist, sondern auch ganz rund und dicht wirkt, liegt vor allem daran, dass sie sich immer wieder auf das Bild und die Bildhaftigkeit beziehen. Am klarsten erschliesst sich dies aus dem Schwenk über ein Wandbild, auf dem das standardisierte Porträt von Serin Touba zwischen einem Che Guevara Bild und einem John F. Kennedy-Konterfei steht.
Der Schatten des Propheten ist letztlich nicht bloss eine Lektion in Ikonografie, sondern auch ein Musterbeispiel für einen extrem klugen, dichten, packenden und informierten Dokumentarfilm, der mit den standardisierten 52 Fernsehminuten extrem ökonomisch umgeht und perfekt über die Runden kommt.
l´ombre du prophète
2010
Österreich
52 min
Dokumentarfilm
Französisch, Bambara
Deutsch, Englisch