Michael Berger - Eine Hysterie

Die Biografie eines korrupten Bankers stellt die filmische Darstellung vor ein Dilemma. Wie lassen sich die Intention eines Einzelnen, systemische Zusammenhänge und zeithistorische Eventualitäten miteinander in Einklang bringen? Thomas Fürhapters knapp einstündiger Film Michael Berger – Eine Hysterie kehrt dieses Problem nach außen, indem er das Moment der Spekulation nicht vertuscht. Das Subjekt des Films, der österreichische Investement-Banker Michael Berger, der mit einem riskanten Hedge-Fond zum Dollar-Millionär wurde, bleibt eine Chimäre – ein Abwesender, der sich auch durch seine Verbrechen nicht fassen lässt. Kein einziges Bild gibt es von ihm zu sehen, und von seinem Wirken bleiben nur die imposanten Summen, die den heimischen Banken irgendwann tatsächlich fehlen. In sechs Anläufen unternimmt der Film den Versuch, die Spuren von Michael Bergers Unternehmungen zu einem Fall zu bündeln. Vom vermeintlichen Ende aus, dem Nicht-Erscheinen Bergers vor einem amerikanischen Gericht, durchkreuzt er seine Laufbahn: Dabei entstehen die Umrisse einer Rise-and-Fall-Story, die von den engen Grenzen österreichischer Arbeitswelten bis zur Wall Street reichen. Fürhapters formales Verfahren erinnert an Arbeiten von Gerhard Benedikt Friedl: Zwischen Bild und Tonebene gibt es keine Entsprechung, die für die Auflösung des Falles von großer Bedeutung wäre. Während der sachlicher Off-Erzähler wahllos Fakten und Anekdoten vermischt und schon damit einen Erkenntnisprozess untergräbt, bleiben die Bilder in ihrer Funktion als Schauplätze spekulativ wie Bergers Finanzkapriolen: Der Weg des Bankers erhält dadurch eine Beliebigkeit, erscheint austauschbar, vielleicht sogar symptomatisch. Auf eindringliche Weise bestärkt Fürhapter dadurch den Verdacht, dass der Betrüger nur von einem viel umfassenderen System des Betrugs ablenken soll.

(Dominik Kamalzadeh)

Orig. Titel
Michael Berger - Eine Hysterie
Jahr
2010
Land
Österreich
Länge
50 min
Kategorie
Dokumentarfilm, Essay
Orig. Sprache
Deutsch, Englisch
Credits
Regie
Thomas Fuerhapter
Kamera
Chris Weiß
Ton
Lukas Böck
Schnitt
Thomas Fuerhapter
Sound Design
Lukas Böck
Dramaturgische Beratung
Dieter Pichler
Herstellungsleitung
Markus Glaser
Produktion
Thomas Fuerhapter
Zusätzliche Kamera
Manuel Zauner
Sprecher*in
Joe Remick, Paul Kraker
Aufnahmeleitung
Herbert Bauernebel, Julia Überreiter
Mit Unterstützung von
bm:ukk, Land Salzburg, Land Oberösterreich, Wien Kultur, Stadt Salzburg
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,78
Bildfrequenz
25 fps
Festivals (Auswahl)
2010
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Leipzig - Dok Leipzig - Int. Festival für Dok.- u. Animationsfilm
Kassel - Dokumentarfilm- & Videofest
Marseille - FIDMarseille International Film Festival
Montréal - RIDM Rencontre Int. du Film Documentaire (Lobende Erwähnung)
Jihlava Documentary Film Festival (Silver Eye Award 2010: Special Mention Medium Lenght)
2011
Marseille - RISC Rencontres Int. Sciences et Film
Split - Festival of New Film and Video
Paris - Hors Pistes Festival au Centre Pompidou