Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich 140 9
Schon die grüne Titelgrafik vorweg ist so kurz geschnitten, dass sämtliche Namen und Worte darauf nur für diejenigen zu lesen sind, die den Film anhalten können. Noch kürzer sind die auf die Titelgrafik folgenden Szenen: jede ein Einzelbild aus anderen Kinofilmen, samt Perforationsstreifen sorgfältig reproduziert, aneinander montiert, bei klassischer Kinoprojektion also 1/24 Sekunde lang und jede Szene von ihrer vorhergehenden wie von der nächsten so deutlich verschieden, dass die Abfolge eher ein Flackern - rhytmisch synchronisiert zum Stottern der gleichsam fragmentierten Lichttonspur – erzeugt, als dass jemand erkennen könnte, wer hier Boxkämpfer, wer Viktor oder wo der große Sylter Deich ist. Dennoch appropriiert Johann Lurfs Super Short Cut die Struktur eines klassischen Kinofilms. Denn in ihrer zuckenden Montage dekonstruieren die Einzelbilder dessen typischen Ablauf: Nach der Sequenz unterschiedlicher Schwarzfilmkader – gewissermaßen als Startband - folgt eine nächste mit diversen Titelfragmenten, dann Schnipsel von Schauplätzen möglicher Establishment-Shots; später folgen Personen, die solo, zu zweit oder in Gruppen posieren, mal drinnen, mal draußen, laufend, Auto fahrend, musizierend oder beim Sex. Hie und da blitzen Untertitel auf, hie oder da möchte man einen Star erkennen. Doch ob Charlotte Rampling, Klaus Kinski, nasser Asphalt, Kubriks "The Shining", Boxterrier oder Himmel – alles und jedes hat hier dieselbe Kontingenz. Kein Dialog, kein Schuss/Gegenschuss, keine Jagd nimmt über das flüchtige Aufblitzen hinweg Gestalt an. Eher verweist Lurfs Diplomfilm auf Found Footage Experimente, wie sie schon die Künstler der amerikanischen Neoavantgarde, etwa Morgan Fisher oder Bruce Connor unternahmen, wobei Lurfs Beschleunigung seiner Bildersalve duchaus die Ambiguität zwischen medienspezifischer Reflexion und Überwältigung sucht.
(Rainer Bellenbaum)
Eine (unter)bewusste Reise durch die Filmgeschichte. Johann Lurfs beschleunigtes Found Footage-Experiment führt den/die RezipientIn an die Grenzen der optischen und akustischen Wahrnehmungsfähigkeit. 24 Einzelbilder pro Sekunde dekonstruieren filmische Erzählkonventionen. Ordnung tritt anstelle der Handlung – der Mensch auf der Leinwand geht nicht mehr um irgendwo anzukommen. Er geht – und zwar nach links, dann nach rechts, dann sitzt er im Auto – immer und immer wieder. Beim Betrachten der Lurf‘schen Bilder-(Un-)Ordnungen sieht niemand den gleichen Film zweimal.
(Katalogtext Diagonale 2010)
Der Titel ist ein Pangram (ein Satz mit allen Buchstaben des Alphabets), die Bilderfolge der (eigentlich unmögliche) Versuch, die Idee des Pangrams auf das Kino zu übertragen: Lurf sammelte in den Vorführkabinen von Wiener Kinos über 3500 Kader, die der Schere zum Opfer gefallen waren, und montiert sie zu einem rasanten Stakkato. Tatsächlich entstehen Bewegungen und kurze Sequenzen als eine Art „Urkino“, Dekonstruktion wird zu Konstruktion und umgekehrt, die gebotene Filmabstraktion erweckt geradezu verblüffend Konkretes. Es ist in unseren Köpfen.
(Verena Teissl, In: Viennale Katalog, 2013)
Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich 140 9
2009
Österreich
3 min