The Passion According to the Polish Community of Pruchnik

"Es war so: 1.200 Polen, 800 Juden und 400 Leute anderer Nationalität. Der Bürgermeister war ein Jude. Der Richter war ein Jude. Der Doktor war ein Jude ... Alle Schlüsselpositionen waren von Juden besetzt. Die Übrigen waren der Pöbel." Diese offen antisemitischen Sätze sind die ersten Worte, die man in Andreas Horvaths und Monika Muskalas The Passion according to the Polish Community of Pruchnik zu hören bekommt. Gesprochen werden sie von mehreren Stimmen aus dem Off, während im Bild zunächst ein Bauernhaus bei Nacht, später der dazu gehörende Kuhstall und die Scheune zu sehen sind. In letzterer machen sich die offenbar zu den Stimmen gehörenden Männerkörper bald daran, eine überlebensgroße Strohpuppe herzustellen, die am Ende der Prozedur den Namen "Judas" tragen wird.

Wir befinden uns in Pruchnik, einem kleinen Dorf im Südosten Polens, es ist die Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag 2008. Während im Frühjahr in vielen polnischen Orten Strohpuppen verbrannt werden, um den Winter auszutreiben, scheint dieser heidnische Brauch nur in Pruchnik mit christlichen Symbolen unterlegt worden zu sein. Wann das war, wissen die Männer im Dorf nicht mehr, dass der christliche Antijudaismus der mittelalterliche Vorläufer des Antisemitismus gewesen ist, wollen sie nicht wahr haben: Es gehe nicht um die Juden, sondern um den Verrat an Jesus, den Judas begangen hat. Um diesen zu sühnen, wird die Puppe aufgehängt, durchs Dorf geschleift, mit Stockhieben bedacht, schließlich angezündet und ins Wasser geworfen. Zur Todesstunde des Erlösers ist der Verrat bereits gerächt.

Wer nun glaubt, in The Passion ginge es ausschließlich darum, durch die Beobachtung eines Rituals die heidnischen Wurzeln des volkstümlichen katholischen Glaubens freizulegen, der irrt. Im letzten Drittel des Films zeigt The Passion eine katholische Zeremonie, die mit dem Geist des Rituals übereinstimmt: Mit Schwertern bewaffnete Männer bewachen in einer Kirche das Grab Jesu. Wer würde den Leichnam des Erlösers denn entwenden wollen?

(Vrääth Öhner)

Orig. Titel
The Passion according to the Polish Community of Pruchnik
Jahr
2009
Land
Österreich
Länge
30 min
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Polnisch
Credits
Regie
Andreas Horvath
Konzept
Andreas Horvath, Monika Muskala
Kamera
Monika Muskala, Andreas Horvath
Schnitt
Andreas Horvath
Ton
Mischa Rainer, Andreas Horvath
Tonmischung
Andreas Horvath, Mischa Rainer
Produktion
Andreas Horvath
Mit Unterstützung von
Stadt Salzburg, Robert Bosch Stiftung, Land Salzburg
Verfügbare Formate
Betacam SP (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Digital Betacam (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Festivals (Auswahl)
2009
Brisbane - Int. Film Festival
Firenze - Festival dei Popoli
Jihlava Documentary Film Festival
2010
Paris - Cinéma du Réel
Nyon - visions du réel - Festival Int. du Cinéma Documentaire
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Wroclaw - New Horizons Festival
Montréal - RIDM Rencontre Int. du Film Documentaire