Palmes d´Or
Verwischte Silhouetten, wo sonst die großen Stars promenieren, Grauschlieren, wo sonst der Glamour regiert, ein Bildersturm, wo ansonsten penibel auf die visuelle Inszenierung geachtet wird. Palmes d´or speist sich aus Bildern, die beim Filmfestival in Cannes aufgenommen wurden, und ist zugleich dessen ureigenste Konterkarierung.
Aus über 800 Fotografien hat Siegfried A. Fruhauf ein pochendes Konzentrat geschaffen, hat Bild über Bild geschichtet, die Resultate verzerrt und deformiert, bis nur noch Schemata übrig bleiben, die blitzschnell auftauchen und sich ebenso abrupt dem überforderten Auge wieder entziehen. Die in rasendem Tempo vor sich hinlärmende Tonspur ist das akustische Äquivalent dazu: Als wären zu viele Sounds auf einmal vorhanden, zähmbar allein durch eine konsequente Rhythmisierung. Detto die Bildebene, die zwischen reiner Optikalität – der Reduktion alles Erkenn- und Identifizierbaren, bis nur noch purer Schauwert übrig bleibt – und totalem Überschuss oszilliert. Tatsächlich enthält hier jeder Kader mehr als mental verarbeitbar wäre. Die blitzschnelle Abfolge entlädt sich in einem Netzhautgewitter, das alles – Referenz wie Reminiszenz – mit sich fortreißt. Zwar sind immer wieder Anhaltspunkte da: Umrisse von Personen, Stadtarchitektur, die titelgebenden Palmen. Doch werden sie allesamt von der rapiden Schraffur ausgelöscht, die Rhythmik statt Inhalt, Grauwerte statt Farbenpracht, und Sturm anstelle von Kontemplation walten lässt. Folgerichtig endet alles mit dem Bild flackernden Feuers, was nicht nur den symbolischen Schlussstrich unter das Gesehene zieht, sondern in seiner Metaphorik an die Illusion eines frühen Kinos, noch vor aller Bilderflut, anknüpft.
(Christian Höller)
Das Filmfestival in Cannes ist sein eigener Film, denn nicht nur der Dreh einer Szene wird beim Film inszeniert, sondern auch die Präsentation des fertigen Werks. Ein rauschendes Fest, welches das visuelle Spiel des Kinos zu einem Spektakel an Ereignissen verdichtet, um letztlich einer Gewinnmaximierung der Filmindustrie dienlich zu sein. Unzählige auf rote Teppiche gerichtete Kameras versuchen den Glamour des illusionistischen Scheins zu bannen und zu verkaufen. Das Blitzlicht zersetzt dieses Schauspiel, zerhackt die Ereignisse in Bruchstücke, wie das im Film bei jeder Aufnahme gleichsam passiert.
Auch von mir wurden die Eindrücke eines Festivalbesuchs als fotografische Bruchstücke eingefangen, mit einem analogen Fotoapparat im Halbformat, welches dem der 35mm Kinoprojektion entspricht. 820 Ablichtungen sind als Einzelbildabfolge das Ausgangsmaterial. In einer massiven digitalen Schichtung dieser Bildsequenz verformen sich die fotografisch realistischen Aufnahmen zu einem nahezu malerischen visuellen Konzentrat der Zersetzung. Die Illusionsmaschine Kino wird wieder zur reinen Bildmaschine. Das Konkrete des Abbilds verliert sich. Der Titel der Arbeit, Palmes d´Or, richtet die Wahrnehmung auf die darin nur mehr ansatzweise aufblitzende Form der Palme. Wie man weiß, gibt es das getreue Abbild einer persönlichen Erfahrung nicht und so wird die Zersetzung einer Wahrnehmung zum affektiven Übungsstück von Abstraktion und Erinnerung.
(Siegfried A. Fruhauf)
Der Titel verrät: Es geht um das Filmfestival in CAnnes. In Schwarz-Weiß konterkariert der Film den Farbenprächtigen Glamour an der Croisette. Mit Blitzgeschwindigkeit und Verzerrung bis zur Zersetzung setzt sich Fruhauf dem wohl inszenierten Großereignis eine Überforderung der Wahrnehmung entgegen. Ein Konzentrat aus 820 während des Festivals aufgenommener und sich überlagernder Fotografien stürmt auf uns ein. Untermalt von einem grollend lärmenden Sound, flackern Palmen, Straßenzüge, Menschenmassen, Köpfe - und manchmal auf dem Kopf - kurz auf, kaum zu erkennen.
(19. dokumentART Neubrandenburg/Szczecin)