Laws of Physics
Der Film beginnt mit einem Bild, das wie die schematische Frontalansicht eines Trichters aussieht; wie ein Küchengerät, in das Verschiedenes reingeht und gemixt wieder rauskommt. Am Ende zeigt der Film wieder eine Art Trichter: einen Gully in einem Betonboden. Der vergitterte Abfluss wird bildfüllend und löst sich im Mikroskopischen auf; in ihm versinkt unser Blick.
Dazwischen eine Einstellung, ein 15-minütiger Zoom. Das Bild ist räumlich und flächig zugleich – wie jedes Filmbild, nur: Hier spürt man es. Es ist der Blick aus einem Fenster hinunter in den leeren Hof (auch das eine Art Trichter) und zugleich geometrisch abstrakt. Aus diesem Flirren zwischen Raum und Fläche entsteht Zeit, eine Zeit, die mehr ist als 15 Minuten Dauer. Anders gesagt: Das Bild ist unsicher, es flirrt, zeigt mehr als das Auge sieht; je weniger zu sehen ist, desto mehr schaut uns aus dem Bild heraus an. Die Zeit im Trichter ist die eines Spuks. Cinephile Erinnerungen geistern im Mix, von Michael Snows Wavelength Zoom bis zu Hitchcock-Bildern, die den Blick ansaugten: das Fenster zum Hof, der Gully aus Strangers on a Train, der Duschabfluss aus Psycho.
Michael Palm ist ein Filmemacher, der Dokumentarfilm, Essayfilm und Paranoia-Thriller mixt und im Sound Design Geister beschwört. Woher kommen die Stimmen und Geräusche im Hof? Aus dem Zimmer im Off? Aus dem Telefonat, das ein kurz ins Bild tretender Mann (Palm selbst) führt? Oder gar aus dem Abfluss? Ist da jemand? Warum sonst zoomen wir endlos in den Abfluss – aus dem einmal sogar eine kleine Spinne krabbelt? Kann das Zufall sein? Es kommt nur raus, was reingeht. Wir erwarten Gründe, projizieren Geheimnisse und müssen unser Wahrnehmen ständig revidieren: Was die Gesetze der Physik für das Auge sind, ist die Unentrinnbarkeit des Sehen-Wollens für den Blick und das Kino. Mit diesen Gesetzen spielt Laws of Physics: ein veritables Mindgame-Movie.
(Drehli Robnik)
In der 15minütigen Studie Laws of Physics geht es um das Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsgehalt von Bildern und deren poetischem "Überschuss", hier formuliert in ambivalenten Verdachtsmomenten, Genre-Elementen und dem Eigensinn des Materials - vor allem aber über die Tonebene. Referenzen sind Wavelenght und The Conversation.
(Michael Palm)
dialogue list laws of physics
0:39 (female voice, off-screen)
Get on the bed! Get on the bed! Lets get started! I feel bad... no I dont.
2:45 (male character, on-screen, phone call)
Hello!?
Yes, well...
Thank you very much, thank you!
Aha, yes, well, youre really very nice. Yes.
Uh, but...I know, uh...
Yes, I found him, yes.
What I wanted to talk to you about was, uhm....
How did you put it in the appartment?
Aha...
What about the alarm?
Great.
Well, see, I am perfectly happy...nothing of value.
No, nothing personal except my keys!
I thought I have the only key.
Yes, I really would like to have the only copy of this, but...
I dont remember telling you.
...
How do you know of my birthday?
Would you like to take a guess how old I am?
Nah...
Hello?
Well, thats a very good guess.
Bye!
8.45 (female voice, off-screen)
No, dont! I have no idea...
LAWS OF PHYSICS DIALOGLISTE:
0.39 (weibliche Stimme, off)
Geh aufs Bett! Geh aufs Bett! Fangen wir an! Mir geht es schlecht...nein, doch nicht.
2:45 (männliche Figur, on, Telefongespräch)
Hallo?
Ja, aber...
Vielen Dank, danke!
Aha, ja, Sie sind wirklich sehr nett. Ja.
Äh, aber...ich weiß, äh...
Ja, ich habe ihn gefunden, ja.
Worüber ich mit Ihnen sprechen wollte, war, äh..
Wie haben Sie es in die Wohnung gebracht?
Aha...
Was war mit dem Alarm?
Toll.
Schauen Sie, ich bin sehr froh...nichts Wertvolles.
Nein, nichts Persönliches bis auf meine Schlüssel! Ich dachte, ich habe den einzigen Schlüssel. Ja, ich würde wirklich gerne die einzige Kopie davon haben, aber...
Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen davon erzählt zu haben.
Woher wissen Sie von meinem Geburtstag?
Möchten Sie schätzen, wie alt ich bin?
Nein...
Hallo?
Das ist sehr gut geschätzt!
Auf Wiederhören!
8.45 (weibliche Stimme, off)
Nein, nicht! Ich weiß es nicht....
Laws of Physics, Texte français
Entre ces deux pôles, un plan : un zoom de 15 minutes. L'image est à la fois spatiale et plane comme toute image cinématographique. Sauf qu'ici, on s'en rend compte. C'est le regard que l'on jette du haut d'une fenêtre sur une cour vide (là aussi une sorte d'entonnoir), mais c'est aussi une abstraction géométrique. De la tension vibrante entre espace et surface naît le temps, un temps qui dure bien plus qu'un laps de 15 minutes. Ou, en d'autres termes : l'image est incertaine, elle vibre, montre plus que l'il ne peut percevoir ; moins il y a à voir, plus l'image nous regarde. Le temps dans l'entonnoir est un temps spectral. Des réminiscences cinéphiles hantent le montage, du zoom de Wavelength de Michael Snow aux images de Hitchcock qui aspirent le regard : Fenêtre sur cour, la bouche d'égout de L'inconnu du Nord-Express, la bonde de la douche dans Psycho.
Michael Palm est un réalisateur qui mixe documentaire, film d'art et d'essai et thriller paranoïaque, et qui invoque les esprits dans son montage son. D'où proviennent les voix et les bruits de la cour ? De la chambre, en off ? Du coup de fil que donne l'homme (Palm lui-même) aperçu brièvement à l'écran ? Ou même de la bonde de la douche ? Y a-t-il quelqu'un ? Et sinon, pourquoi le zoom se rapproche-t-il interminablement de la bonde d'où s'échappe même une petite araignée ? Est-ce vraiment un hasard ? Pour pouvoir sortir, il faut être entré. Nous cherchons des raisons, imaginons des secrets, et sommes sans cesse forcés de corriger notre perception : les lois de la physique sont à l'il ce qu'est l'inexorabilité du désir de voir au regard et au cinéma. C'est avec ces lois que joue Laws of Physics : un vrai jeu de réflexion façon cinéma. (Drehli Robnik)
Traduction: Françoise Guiguet
Jurybegründung für "Preis für Innovatives Kino", Diagonale 2009 (Preis (Auszeichnung))
Eine einzige Einstellung, eine kurze Spielhandlung, eine langsame Kamerafahrt, dann gerät der Film an seine buchstäbliche Grenze. Mehr braucht Michael Palm in Laws of Physics nicht, um einen filmischen Raum und eine filmische Zeit zu öffnen, in der zahlreiche Referenzen zur Geschichte des experimentellen Films Raum und Zeit haben. Dazu nutzt der Regisseur sinnvoll und präzise die Möglichkeiten des digitalen Mediums und fordert die Zuschauer in ihrer Aufmerksamkeit und ihrem Wissen heraus. Das ist es im Grunde, was wir uns von einem Preisträgerfilm der Kategorie Innovatives Kino" erwarten.
Jury:
Reinhard Braun (freier Autor und Kurator, AT)
Eve Heller Tscherkassky (Filmemacherin, US/AT)
Maria Morata (freie Kuratorin/Programmer Film/Video, ES/DE)
Pressestimmen (DE & EN)
Claudia Siefen, In: SENSES OF CINEMA
Am Anfang ist ein leerer Raum. Eine klare geometrische Struktur, die in die Tiefe weist, rohe Betonwände und ganz hinten eine kleine dunkle Öffnung. Dann tritt einer ins Bild. Neuorientierung wird möglich. Aber was es genau mit der räumlichen und technischen Anlage auf sich hat, die hier wirksam wird, das lässt sich erst mit der Zeit entschlüsseln. Ein Rest an Mysterium bleibt.
Isabella Reicher, In: DER STANDARD
... ein bemerkenswertes Raum-Zeit-Experiment.
Christoph Huber, In: DIE PRESSE
Ein buchstäblich geradliniger, filmischer Belastungstest für das gerechnete Bild.
Dominik Kamalzadeh, In: DER STANDARD
... langsam und intensiv ...
Martin Behr, In: SALZBURGER NACHRICHTEN
Laws of Physics
2008
Österreich
15 min