Borgate
Eigentlich hätte es eines der urbanen Vorzeigeprojekte des modernen Italien nach dem Zweiten Weltkrieg werden sollen: Das obwohl bereits unter Mussolini geplante Stadtviertel Don Bosco am südlichen Rand Roms, wurde ganz im Geist des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit und im Stile des Modernismus der 1950er und 1960er Jahre errichtet. Vergleichbar mit Wohnbauprojekten in anderen europäischen Großstädten zeigt sich auch in Don Bosco virulent die Kluft zwischen den sozialpolitischen Utopien der Moderne und deren Realität.
Mit Borgate setzt die Medienkünstlerin und Architektin Lotte Schreiber ihre Serie von filmischen Untersuchungen über Architektur und (Stadt)Raum fort. Schreibers Arbeiten sind filmische Kartografien, in denen sie die Formensprachen der Landschaft oder der Architektur in eine Formensprache der Kinematografie zu übersetzen versucht. Dieses Verfahren trifft auch auf Borgatezu: Das von der Stadtplanung am Reißbrett entworfene Wohnviertel Don Bosco transferiert Schreiber daher konsequenterweise in streng kadrierte Bilder und seriell montierte Sequenzen. Im Wechselspiel dieser meist statischen Einstellungen oder ruhigen Schwenks über Fassaden und bauliche Details mit filmischen Zitaten von Pasolini und Fellini bis Antonioni produziert Borgateein visuelles und akustisches Panoptikum über das Scheitern urbanen Utopien.
Gestützt wird das durch die symphonische Komposition von Bernhard Lang, die dem Erstarren der Bilder eine durchaus dramatische Komponente verleiht. Diese Beunruhigung verstärkt sich durch jähe Einbrüche heftig bewegter Videofragmente, die wie Splitter eines realen Raumes in den ästhetisierten Filmraum wirken.
Anders als etwa Antonionis Flaneure, deren seelische Krisen sich in den objets trouvés, den weiten Straßen, flächigen Fassaden und leeren Plätzen der Vorstadt widerspiegeln, sucht und findet Schreiber präzise Detail- und Gesamtansichten jener suburbane Zone, um mit ihnen die Krise der Moderne selbst zu verhandeln.
(Gerald Weber)