Notes on Marie Menken
Was man vielleicht kennt, sind Anekdoten um eine grelle Figur des amerikanischen Underground, denen ein Stück von Edward Albee entsprungen ist. Mit der Suche nach der widersprüchlichen Frau von Willard Maas begibt sich Notes on Marie Menken auf unbekanntes Terrain. Das subtil aus individuellen Zeugenschaften und vergessenen Archivbeständen gebaute Porträt beleuchtet entschieden fragmentarisch eine bisher unterschätzte Protagonistin der New Yorker Avantgarde. Über die aufrichtige Reverenz der damals Jüngeren erschließt sich heute das Ausmaß der Ausstrahlung von Marie Menken. Das Factory-Gründungsmitglied Gerard Malanga schildert die Künstlerin aus der Sicht des Wahlsohns; Jonas Mekas und Stan Brakhage haben von ihr erklärtermaßen zentrale ästhetische Impulse erhalten. Seit den vierziger Jahren erfaßte Menken mit ihren filmischen Glimpses das Augenblickliche und Alltägliche, indem sie sich auf Lichtreflexe und Farben, auf Formen und Texturen konzentrierte. So war sie eine der ersten, die die zeitliche Elastizität der Bolex-Kamera gestalterisch für den Avantgardefilm zu nutzen wußte. Ein Sinn für tänzerischen Rhythmus, Lichtverhältnisse und Details erweist sich inbesondere an Arabesques for Kenneth Anger, den Kudláčeks Hommage ganz zeigt. Notes on Marie Menken gibt eine Ahnung von Menkens ausgeprägtem Sinn für taktile und optische Effekte, indem er Menken auch als bildende Künstlerin vorstellt, der besonders an der Collagetechnik gelegen war. In ihrer eigenen Kameraarbeit auf Einfühlung und Anschaulichkeit bedacht, läßt Martina Kudláček zudem die Materialität der Archive wie die Körper der Zeugen sprechen. So ist den Notizen über Menken auch deren Entstehungsprozeß eingeschrieben: das Sichten, Spulen und Ausheben, Raum für Spielerisches und Zweifel.
(Christa Blümlinger)
Notes on Marie Menken erzählt die nahezu vergessene Geschichte der legendären Künstlerin Marie Menken (1909 - 1970), die zu einer der außergewöhnlichsten Underground-Filmemacherinnen im New York der 50er und 60er Jahre wurde und Künstler wie Stan Brakhage, Andy Warhol, Jonas Mekas, Kenneth Anger und Gerard Malanga inspirierte. Die Dokumentation gibt Einblick in ihren gesellschaftlichen und künstlerischen Kampf sowie ihre radikale Integrität und zeichnet das Bild eines modernen Mythos in persönlichem Tagebuchstil.
Marie Menken war eine abstrakte Malerin, als sie begann, mit Film zu experimentieren. «Filmemachen war eine natürliche Entwicklung während meiner Beschäftigung mit Malerei, da es mir vorwiegend darum ging, Licht festzuhalten, dessen Effekt auf strukturierten Oberflächen, dessen glänzendes Leuchten in der Finsternis, die Betonung von nebeneinander gestellten Farben, die Beharrlichkeit des Blicks und Erschöpfung der Augen», erklärt Marie Menken.
Der Filmemacher Jonas Mekas schrieb: «Marie war eine der ersten Filmemacherinnen, die mit der Kamera improvisierte und schnitt, während sie drehte. Sie filmte mit ihrem gesamten Körper, ihrem gesamten Nervensystem. Man spürt Marie in jeder Einstellung, wie sie den Film aus winzigen Teilen und durch Bewegung konstruiert. Es ist diese Bewegung und der Rhythmus, die so viele von uns aufgriffen und später in unseren eigenen Werken weiterentwickelten.»
(Produktionsnotiz)
--> www.notesonmariemenken.org
Tanzende Kamera von Isabella Reicher, Der Standard, Wien, 22.9.06 (Kritik)
"Notes on Marie Menken" heißt diese filmische Reminiszenz von Martina Kudlácek ("In The Mirror of Maya Deren"), die jetzt ins Kino kommt. Der Titel ist Programm: Der offenen Form des Notathaften wird gegenüber einem abschließenden, endgültigen Rückblick auf eine Person und ihr Werk der Vorzug gegeben. Die Notate folgen lose der Chronologie von Menkens (Arbeits-)Leben. Malanga beispielsweise erinnert sich im Film an regelmäßige Besuche an Menkens Arbeitsplatz beim Magazin Time-Life, wo er das Kopiergerät benutzen konnte. So erfährt man, dass die Filmemacherin mehr als zwanzig Jahre im Nachtdienst als Telefonistin und Verteilerin der einlangenden Fernschreiben arbeitete, wenig schlief und die übrige Zeit ihrer kreativen Tätigkeit widmete.
Film im Film
Auch wesentliche US-Filmemacher kommen zu Wort wie Kenneth Anger, Stan Brakhage oder Menkens litauischer Landsmann Jonas Mekas, der 1961 eine Retrospektive ihrer Filme organisierte und diese damit einem breiteren Publikum bekannt machte (zuvor hatte sie ihre Arbeiten vor allem bei sich zu Hause vorgeführt). Im Sinne einer Ausstellungsfläche funktioniert auch Notes on Marie Menken selbst: Kudlácek hat ihre eigenen Aufnahmen die Interviews, kleine Beobachtungen und assoziative Impressionen in Schwarzweiß gehalten. Damit macht sie zum einen Platz für Menkens Farbfilme und deren Leuchtkraft. Zum anderen wird so auch anschaulich, was die Kollegen beschreiben:
Etwa der Umstand, dass sie als eine der Ersten ihre Filme bereits während des Drehens schnitt, die Bolex "sprechen ließ" (so Peter Kubelka). Oder ihre physische Kameraarbeit "Sie bewegte sich beim Filmen wie eine Tänzerin", sagt Anger. In einer späteren Szene wird eine verrostete Filmdose geöffnet, das schon verwitterte Filmmaterial am Schneidetischmonitor betrachtet. Zu sehen ist ein "Duell der Bolex-Kameras", aufgezeichnet von Malanga: Marie Menken im leuchtend roten Pulli und Andy Warhol, beide mit ihren Aufzeichnungsgeräten bewaffnet, umkreisen einander lauernd, spielerisch auf einem Hausdach.
Umgekehrt hat Menken Malanga und Warhol beim Anfertigen von Siebdrucken mit der Kamera beobachtet und daraus eine "Choreografie von Händen" gemacht. Auch dieses Filmdokument, entstanden, bevor sie etwa in Warhols "Chelsea Girls" zu sehen war, verdeutlicht wiederum den Stellenwert, den Menken in der New Yorker Kunstszene seit den 40er-Jahren hatte: als Vorbild, Kollegin, Freundin, Gastgeberin. Umso passender, dass ihre Wiederentdeckung nun auf der Leinwand erfolgen kann.
(Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.9.2006)
Notes on Marie Menken (DE) (Artikel)
"Notes on Marie Menken" von Christian Höller
"Anmerkungen zu Marie Menken" von Martina Kudlácek
"Filme von Marie Menken" von Martina Kudlácek
"Geteilte Zellen" von Rainer Bellenbaum