Heinrich und Mary-Jane
Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem Sofa. Sie waren mal zusammen. Ob sie es noch sind, ist nicht ganz klar. Auch den beiden selbst nicht: Manchmal hass ich dich, für all das, was du mir angetan hast, sagt sie. Ich liebe dich, weißt du, sagt er. Das ist der Punkt.
Stefan Zlamals Heinrich und Mary-Jane ist der Ausnahmefall einer Found Footage-Arbeit. Statt, wie üblich, vorhandenes Bildmaterial in der Montage neu zu arrangieren, arbeitet Zlamal vielmehr mit zwei gefundenen Tonspuren, die er in einer 12minütigen Handkamera-Plansequenz im gemeinsamen Bildraum aufeinander prallen lässt: Die junge Frau mit der legeren Reißverschlussjacke (Astrid Rausch) flüstert, seufzt, schreit mit Liv Ullmanns deutscher Synchronstimme aus Bergmanns Szenen einer Ehe. Ihr Besucher im engen roten T-Shirt (Wolfgang Dangl) erwidert ihr mit Passagen einer Lesung des Berliner Schriftstellers Sven Regener.
Während Zlamals Handkamera, die meist dicht an den Gesichtern und Körpern der Schauspieler bleibt, Authentizität suggeriert, verweisen Klangfarbe und Hall der Stimmen auf fremde Räume, außerhalb dieses studentisch möblierten Wohnzimmers. Auch die Wortwahl zeugt von anderen Zeiten und Milieus, die kühl-kultivierte Analyse der Frau: Verzeih mir, wenn ich das sage, aber es war ein rein sexuelles Verhältnis. Und sein flapsiges Überspielen der eigenen Verwundbarkeit: Na irre, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.
Das zitatenhafte Sprechen, das einst Brecht von guten Schauspielern forderte, wird hier ganz konkret zum Sprechen in Zitaten. Die Form des Dargestellten weiß mehr als sein Inhalt, und so erweist sich Heinrich und Mary-Jane zugleich als Film über die Wahrnehmung im Kino selbst: Nicht nur für das streitende Paar, auch für uns als Zuschauer wird die Syn-Chronizität, also wörtlich, das Gemeinsam-in-der-Zeit-Sein, spürbar als die große Illusion, die sie ist.
(Maya McKechneay)
"Bleibt alles anders" Video & Co: Das Festival in der Akademie der Künste widmet sich der Kunst des Unfertigen. Von Christian Tretbar, Der Tagesspiegel Berlin, 30.1.2007 (Kritik)
Stefan Zlamals lässt die Frage in seinem Kurzfilm Heinrich und Mary-Jane offen und trifft damit den Nerv der Transmediale 07. Denn das Festival für digitale Kunst und Kultur, das heute Abend von Kulturstaatsminister Bernd Neumann eröffnet wird, greift das Unfertige auf. Es geht um scheinbar Abgeschlossenes, das in anderer Form weiterlebt.
Unfinish heißt das Motto des Festivals, und Zlamals Film ist in doppelter Hinsicht ein gutes Beispiel für einen unvollendeten kulturellen Prozess. Denn beide Tonspuren des Kurzfilms sind reines Zitat: zwei Stimmen, die in neuem Kontext aufeinander reagieren. Mary-Janes Stimme stammt von Marianne aus Ingmar Bergmans Klassiker Szenen einer Ehe von 1973. Wenn Heinrich ihr antwortet, ist der Autor und Sänger Sven Regener zu hören, der die im Film verwendeten Worte auf einer Lesung gesprochen hat. [...]
http://www.tagesspiegel.de/berlin-kultur/archiv/30.01.2007/305
Heinrich und Mary-Jane
2005
Österreich
12 min