ORTEM
Im Zentrum von ORTEM: Das Verkehrssystem der U-Bahn schafft durch seine unterirdische Architektur eine spezifische Raum- und Wahrnehmungssituation. Der Film als abstrakter Essay fokussiert Phänomene wie: Geschwindigkeit, Wahrnehmung, Architektur, Erinnerung und untersucht das flüchtige und anonyme der Alltagserfahrung. Die Auseinandersetztung mit der Darstellbarkeit von Räumen und Orten trifft auf reale Architektur. Die filmische Reflektion der sozialen & kulturellen Dispositiven des urbanen Raumes lotet die Schnittstellen aus, die ihn konstruieren.
(Dariusz Kowalski)
Mit dieser Arbeit vollzog sich ein erster, spürbarer Bruch im Werk des Videokünstlers. 2004 veröffentlichte er ORTEM (= Metro rückwärts geschrieben). Dieser zwanzigminütige Kurzfilm ist eine Art abstraktes Porträt des Wiener U-Bahn-Systems. Für einige Wochen begab sich Kowalski mit einer herkömmlichen Videokamera in den Wiener Untergrund. Die kontrastreichen, meist stark weitwinkeligen Handkamera-Aufnahmen zeigen die spezifische 70er-Jahre-Architektur vorwiegend menschenleer. Horizontale und vertikale (Aufzüge) Kamerafahrten verdichten sich zu einem labyrinthischen Raumerlebnis.
Mittels der subjektiven Kamera werden die verschiedenen Wahrnehmungsmodalitäten innerhalb des U-Bahn-Netzwerks definiert und kapitelartig gereiht. Nur einmal verläßt Kowalski den unterirdischen Raum und zeigt einen oberirdisch verlaufenden Streckenabschnitt des U-Bahn-Netzes aus der "Vogelperspektive" eines Hubschraubers. Unterbrochen wird der suggestive Bilderfluss wie ein Stummfilm durch Textinserts mit weissen Lettern auf rotem Grund. Kowalski, der ORTEM nicht nur im Alleingang gedreht, sondern auch montiert hat, strukturiert auf diese Weise sein Video und webt mit den Zwischentiteln eine zusätzliche reflexive wie poetische Ebene ein, die dem Werk einen eigentümlichen, essayistischen Charakter verleihen.
(Norbert Pfaffenbichler, In: KOLIK FILM, Sonderheft 17/2012)
Ortem (DE)
Text: Helmut Weihsmann
Ausgangspunkt dieses kurzen und phantasievollen Experimentalvideos ist das Wiener U-Bahn-Netz aus den 1970er Jahren der Arbeitsgruppe Wilhelm Holzbauer, Heinz Marschalek, Georg Ladstätter und Norbert Gantar, deren gestalterische Klarheit, abstrakt-kühne Formensprache und semiotische Lesbarkeit vorbildlich für zeitgemäßes und urbanes High-Tech-Design wurde. Bei immer gleich bleibenden Montageprinzipien und Reihung der Bauelemente erreichte man ein variables und wechselseitiges Zusammenspiel der Ordnungen, Maßstäbe und Variationen der Formen. Diese Elemente der Gestaltung sind eigentlich keine Ansammlung beliebiger Ornamente, sondern stellen einen strigenten Bausatz dar. Es ist das, was sich amerikanische Industriedesigner in den 30-er und 40-er Jahren immer als „Streamline Moderne“ erträumten, was sie jedoch außer in den utopischen SF-Filmen nie ganz verwirklichen konnten. In dieser kleinen aber feinen Formübung erkundete, erforschte und dokumentierte der einheimische Medienkünstler Kowalski präzise das urbane Zeichen-, Bau- und Raumsystem der Wiener U-Bahn, das im Laufe der filmischen Erkundigung immer stärker zu einem seltsam futuristisch inspirierten und beklemmenden Science-Fiction-Szenario mutiert. Kowalski wählte hierfür verschiedene (gar unheimliche, weil menschenleere) Orte und Knotenpunkte im U-Bahn-System, um die Vielfalt und Komplexität der unterirdischen Räume, Gänge und röhrenförmige Haltestellen im ganzen Stadtgebiet zu zeigen. Die sowohl gelungene Konzeption als auch klare Struktur des Films beruht auf die Repetition und den konstanten Rhythmus – besser: Impuls – der Bilder in einem dialektischen Wahrnehmungsprozess von Form, Ordnung und Geschwindigkeit. In brillanter Rasanz taucht dabei die Kamera in Sequenzen eines Meta-Raum-Systems und erkundet scheinbar imaginäre, doch fast alltägliche Räume des Verkehrs, des Dahingleitens und der poetischen Stille in „sinfonischer“ Art und Weise.