YOAKE a chewing gum story
Yoake handelt von der menschlichen Wahrnehmung. In diesem Fall genauer: von den Grenzen ihrer Mitteilbarkeit. Und so kommt es, dass jene Mann-Frau-Begegnung, die im Zentrum des Films steht, nur flüchtig bleibt. Zu sehr unterscheiden sich die Welt-Sicht des japanischen Bankers, der auf Geschäftsreise in Wien ist und die seiner Jugendbekannten, die inzwischen hier Musik studiert. Während die Frau dabei ist, Wien zu erleben, versucht sich der Mann an der touristischen (also materiellen) Aneignung, kauft Souvenirs oder schießt Fotos von sehenswerten Gebäuden.
Einen Nachmittag, einen Abend und eine Nacht ziehen die beiden durch die Stadt er förmlich in Anzug und Krawatte, sie aufgedreht mit knallroter Wollmütze sprechen von früher, von der Fremde und davon was Heimat eigentlich bedeutet, nur um am Ende des nostalgischen Zusammenseins einzusehen, dass auch die Vertrautheit vergangen ist.
Zumbühl inszeniert das verdoppelte Fremdsein (gegenüber dem Ort und gegenüber dem anderen Menschen) mit viel Gefühl für Raum und Körper: dominierende Einstellung ist die Halbnahe, die oft nur einen kleinen, in der Gehbewegung verwackelten Ausschnitt von Wien sichtbar werden lässt.
Der Eindruck einer Einsamkeit zu zweit ist wiederum getragen von der Tatsache, dass die Landsleute selten in der gleichen Einstellung zu sehen sind. Jeder scheint durch sein eigenes Wien zu gehen.
Erst am Schluss gelingt den beiden noch ein Stück gemeinsamer Wien-Wahrnehmung: Frau und Mann stehen dicht beieinander, jeder hat eine Kopfhörer-Hälfte des Walkmans. Während ein japanischer Schlager erklingt, betrachten beide die Morgendämmerung über der Stadt. Yoake bedeutet übrigens so viel wie Licht der aufgehenden Sonne und ist ein überzeugender Beinahe-Liebesfilm. (Maya McKechneay)
Roland Zumbühl im Gespräch über YOAKE a chewing-gum story, Karin Schiefer, AFC (Interview)
Sie leben selbst seit sechs Jahren nicht mehr in Ihrer Heimat, was fehlt Ihnen hier in Wien?
ROLAND ZUMBÜHL: Wien ist eh ziemlich nahe, denke ich und auch die Sprache ist ähnlich. Wobei mir schon das Schweizer Deutsch fehlt, weil es gewisse Ausdrücke gibt, die hier nicht funktionieren. Das andere, was mir fehlt, sind alte Bekannte. Dass es nicht möglich ist, in Wien Bekannte zu haben, die ich seit 10, 15 Jahren habe und das macht einen Unterschied.
Ist das Thema der Entwurzelung oder Suche nach Heimat oder sich selbst, ein Thema, das dich besonders berührt?
ROLAND ZUMBÜHL: Das hängt schon damit zusammen, dass ich von daher auch ein bisschen entwurzelt bin. Durch die Situation, dass ich 800 km weg bin und außerdem viele Leute, die in der gleichen Situation sind, kenne. Es ist eine ähnliche Situation, solange man in Europa ist, ist es eine kleinere Herausforderung.
Gibt es einen besonderen Bezug zu Japan?
ROLAND ZUMBÜHL: Eigentlich nur den Schauspieler, Gen Seto. Ich hab mit ihm meinen ersten Film in Wien gemacht Television Flower. Seither sind wir im Kontakt miteinander, dadurch erfuhr ich auch viel über seine Situation, das Ganze war eine Geschichte, die einerseits aus seinem Leben, andererseits aus meinem Leben entstanden ist. Es sind viele kleine Geschichten, die schließlich nicht 1:1 reinfließen. Aber bei ihm ist es schon noch stärker, dass er immer noch der Fremde ist, dass er sehr viele Leute kennt, aber er bleibt für viele halt der Japaner. Deine Protagonistin leidet unter der Entfernung von der Heimat und könnte andererseits doch nicht dort leben. Ich denke es geht um die große Freiheit, die man hat, wenn man sich für diese Art zu leben entscheidet, diese Freiheit will man haben, aber es führt auch vor Augen, dass das Konsequenzen hat.
Was macht das Fremdsein aus, abgesehen von der Sprache?
ROLAND ZUMBÜHL: Ich glaube, dass es Kleinigkeiten sind, die fremd machen. Wie der Kaugummi, der dann doch wieder in jedem Land vorhanden ist, aber doch nicht so wie zu Hause ist.
Welche Beziehung haben Sato und Yoko zueinander?
ROLAND ZUMBÜHL: Sie sind alte Schulfreunde, die ein veraltetes, ein vergangenes Verhältnis zueinander. Für mich ist es keine alte Liebesgeschichte. Es ist immer schwierig, wenn eine gewisse Vertrautheit da war, dann will man dort anknüpfen, aber beide haben sich verändert und es führt einfach zu Missverständnissen. Gerade bei der Begrüßung, Yoko hat sich angepasst und er erwartet von ihr, dass er endlich eine japanische Frau trifft, die ihn versteht. Dann war für mich auch das Musische an ihr sehr wichtig. Dass sie als Musikerin Dinge anders betrachtet, dass sie von Stimmungen ausgeht, was er nicht machen muss, weil er in einem ganz anderen Metier ist. Darin liegt eine große Konfliktschere. Er hätte das gerne, aber findet überhaupt keinen Zugang zu ihr und deshalb ist die Kommunikation schwierig.
Gab es zuerst die Idee etwas über Entwurzelung zu erzählen?
ROLAND ZUMBÜHL: Die Idee zuerst war der Kaugummi. Eigentlich wollte ich fünf kleine Portraits machen von Leuten die den Kaugummi als zentralen Punkt als Metapher für irgendwas haben. Dafür hab ich Drehbuchschreiber gesucht, was dann nicht funktioniert hat. Meine Metapher war immer das Kindliche am Kaugummi. Über das Kindliche bin ich auf das Entwurzelte gekommen, daraus ergab sich, dass ich auf das Japanische gekommen bin. Es war dann doch sehr interessant, das so zu machen, weil andere Sachen in den Vordergrund kommen. Ich musste ganz genau beobachten. Rhythmus war sehr wichtig, Melodie war sehr wichtig.
Sie sprechen kein Japanisch. Wie kommt man auf die Idee, ein Drehbuch in einer Sprache zu schaffen, die man gar nicht beherrscht.
ROLAND ZUMBÜHL: Das war für mich schon sehr lange ein Konflikt, weil es für die Regie die Umsetzung sehr schwierig ist, das zu realisieren. Es gab sehr lange Diskussionen, weil sehr viel über den Klang entschieden wird. Ingmar Bergman hat teilweise nicht hingeschaut, sondern nur hingehört und wusste, dass es gut ist. Es war sehr schwierig, aber ich fand, dass die Geschichte mit einem Schweizer in Österreich nicht funktionieren konnte. Ich hab es zuerst auf Deutsch geschrieben und der Hauptdarsteller hat es übersetzt. Es gab dann ein ganzes Drehbuch in japanischen Schriftzeichen. Das hatten die Schauspieler, weil es viel zu schwierig gewesen wäre in den Sprachen hin- und her zu wechseln. Und ich musste volles Vertrauen haben, dass das stimmt.
Der Arbeit mit den Schauspielern kam in diesem Fall sicherlich ein besonderes Augenmerk zu?
ROLAND ZUMBÜHL: Ich hatte großes Glück, dass Yoshie Maruoka hier in Wien ist. Das war der Knackpunkt, eine Japanerin zu finden, die spielen kann und zu ihm passt. Sie hatte schon in einem Film eines Kollegen gespielt, in einer kleineren Rolle. Die beiden wussten peripher voneinander. So viele Japaner gibt es hier nicht. Die ersten Proben fand ich sehr spannend, weil Yoshie Maruoka sehr viel vom Theater einzubringen hatte. Ich finde nicht, dass ich die Zügel aus der Hand geben musste, es war immer klar, wo sie sind, es war erstaunlich einfach, dem Text zu folgen. Es gibt wichtige und unwichtige Punkte, man muss in der Regie wissen, was man betonen will. Dazwischen gibt es einfach Phasen, wo die Leute einen Freiraum haben und ich glaube, dass das sehr gut funktioniert hat, dass sie in diesem Freiraum eine Natürlichkeit bekommen haben und dann doch auf den Punkt gekommen sind. In den Proben entsteht sehr viel, gewisse Sachen bieten sich an, man kann gemeinsam die Szene ausbauen, gewisse Bilder sind halt immer schon vorhanden. Für mich war toll, dass ich über das Japanische, gelernt habe, wirkliches Vertrauen in die Schauspieler zu bekommen. Das Profis sind, die ihr Handwerk verstehen und da geht es nicht darum, dass ich sie auffordern muss, dass etwas so oder so zu sein hat. Sondern es geht darum, dass wir alle am gleichen Ding arbeiten und die gleiche Emotion rüberbringen wollen. Da entstehen sehr schönen Dinge, die man sehen muss und fordern kann.
Wie lässt sich das erzählerische Konzept von YOAKE kurz charakterisieren?
ROLAND ZUMBÜHL: Es sind sehr viele Ideen hinein verpackt, die mitschwingen. Es ging hauptsächlich darum, eine Stimmung zu erzählen und nicht die große sachliche Konfliktgeschichte. Wir haben ein paar Sachen ausprobiert, gerade im Hotel. Ich fand das sehr spannend, das in einem Bild zu erzählen, das war hauptsächlich mein Anliegen, dass ich nicht zu kompliziert werden wollte, weil wir auch sehr wenig Geld hatten. Ich wollte immer versuchen, in möglichst wenig Bildern alles zu erzählen. Dann finde ich gibt es ein paar gute Ideen, z.B., in der Bar, dass wir von außen durch das Fenster gefilmt haben. Weil dadurch eigene Distanz entsteht. Auch das Bild im Hotel, wo wir damit gespielt haben, wann er ganz im Bild ist und wann nicht, das war alles schon sehr geplant. Ansonsten ist es natürlich sehr simpel erzählt.
Wie sah die Zusammenarbeit mit Kamerafrau Leena Koppe aus?
ROLAND ZUMBÜHL: Wir waren zusammen in der Klasse, es ist der erste Film, den wir zusammen gemacht haben. Ich finde dass sie ein irrsinniges Feingefühl in den Film hineingebracht hat und dass diese Bilder nur über ihre Handschrift funktionieren. Es ist da noch ein Gefühl vorhanden, was über dem Bild steht, in einigen Bildern ist sie sehr stark vorhanden. Der Blick durch die Scheibe war eine sehr tolle Idee von ihr oder auch das ganz einfache am Schluss in der Wohnung. Mit möglichst wenigen Bildern zu arbeiten kam von mir. Ich hatte immer ein Grundkonzept, einen Vorschlag, wie ich mir dachte, dass man das erzählen kann und dann haben wir das besprochen, sie brachte zusätzliche Ideen ein, die wir dann gemeinsam integriert haben. Ein ironischer Kontrast zu den Originalschauplätzen wird mit der japanischen Fantasiewelt am Ende des Films gesetzt. Wir mussten das improvisieren und irgendwie ein Japan zusammenkriegen. Schlussendlich war es eine gelbe Wand mit sieben Japanern, die hin- und hergehen. Die Idee kam von einer Dokumentation, die ich über einen japanischen Fischmarkt gesehen hatte, ich fand, dass das auch sehr ähnlich wie ein Wiener Markt gewirkt hat, dass sich da die Kulturen nicht so sehr unterscheiden. Japaner, die das gesehen haben, haben über den Ton gemeint, dass es in Japan gedreht worden ist. Das war natürlich toll für mich. Die Tonebene spielt auch noch eine sehr große Rolle. Da hatte ich das Glück, dass ich einen Künstler kennen gelernt habe, der in Japan lebt und der mir Sounds aufgenommen hat, das macht das genau in solchen Situationen noch lebendiger.
Sie schreiben Ihre Drehbücher nicht unbedingt selber?
ROLAND ZUMBÜHL: Ich denke, es ist beides spannend, ich hätte mal Lust, ein Drehbuch zu bekommen, um es nur in Regieideen umzusetzen. Wenn man selber schreibt ist immer ein Bild da, das man zuerst in Worte fasst, das Bild aber immer schon hat. Da ist es dann immer schwierig zu wirklichen Regieideen zu kommen, weil man nicht weiß, wo man anfangen soll. Ob man das Drehbuch ändern oder an den Schauspielern arbeiten soll. Was ich am Filmemachen mag ist, dass man einen fixen Text hat, der einem ein Gefühl vermittelt, und das versucht man mit Schauspielern und einer Kamera in Film zu transportieren. Ich finde es sehr spannend, dass man aus einem Text mit Ideen noch sehr viel machen kann.
In Ihrer Filmografie ist auch eine Doku aufgelistet?
ROLAND ZUMBÜHL: Es ist so, dass wir in der Ausbildung beides machen. Ich finde die Abwechslung sehr spannend, weil Dokumentation ein größeres Schauen und Fiktion ein Geben ist. So ist es möglich, wenn man etwas gegeben hat nach einem Spielfilm, bei einer Doku genau hinzuschauen und von anderen Leuten wieder Dinge zu erfahren und etwas über andere Personen zu erleben. Das finde ich das Schöne an der Dokumentation.
Was ist Ihr nächstes Filmprojekt?
ROLAND ZUMBÜHL: Jetzt mache ich eine Dokumentation über junge Christen. Es geht auch um das Thema der Suche. Ich war fasziniert, dass diese Leute eine Message haben und keine Form, diese zu vermitteln. Wo wir Filmemacher immer die Form kennen und nach einer Aussage suchen. Deshalb kann ich dem eine Form geben. Es ist eine junge, punkige Kirche, die auch wieder sehr viele Zwänge hat. Es ist eine Mischung aus Zwang und Freiheit, die ich spannend finde, dass in der Jetztzeit ein Bedürfnis danach da besteht.
Interview: Karin Schiefer (2002), Austrian Film Commission
YOAKE a chewing gum story
2002
Österreich
14 min