La Sortie
Der erste Film der Kinogeschichte zeigt Arbeiter beim Verlassen einer Fabrik: La Sortie des Ouvriers de l´Usine heißt dieses 50-sekündige Werk, das uns die
Lumières in drei Fassungen hinterlassen haben. In Hardware und Software der Maschine "Kino" steckt vieles vom spezifisch mechanischen Charme des industriellen Zeitalters. Insofern ist es paradox, daß die Lumières die Filmgeschichte ausgerechnet mit dem Verlassen der Fabrik beginnen ließen, anstatt Werktätigen am Fließband diese Ehre zuteil werden zu lassen.
Gut 100 Jahre später fabriziert Siegfried A. Fruhauf eine vierte Version von La Sortie des Ouvriers de l´Usine. Dieses Remake räumt mit der unfreiwilligen Ironie des Lumière-Films gründlich auf. Sechs Minuten braucht Fruhauf, um das aktuelle Schicksal der Industrie zu Film gerinnen zu lassen. Vierzehn Arbeiter und Arbeiterinnen sind es hier - fünf auf der (optischen) Längsachse, der Rest quert im Hintergrund - , deren Bewegungen die Form des Kreuzes nachzeichnen: das Todessymbol als Ballet mécanique.
Das Ausgangsbild wird in nahezu abstrakte, schwarz-weiße Flächen transformiert, sysiphusgleich eingespannt in einen irrwitzigen Tanz der Wiederholungen. Sukzessive beschleunigt Fruhauf die Bewegung der Schreitenden, bis hin zum Rasen: Die Kapazität des Filmstreifens wird bis an seine physikalische Grenze ausgelotet: "Bis es nicht mehr geht." Maximale Akzeleration bringt Stillstand:
Nach der Beschleunigung des gesamten Bewegungsablaufs auf zwei Kader folgt konsequent der letzte Kader - das Freeze Frame. Nichts geht mehr. Das Modell des (wörtlich genommenen) Fort-Schritts kollabiert. An seiner Statt: Paralyse; Dead End. Die Arbeiter stehen still. Mit ihnen die Fabrik.
Rien ne va plus.
(Peter Tscherkassky)